22.10.2014 09:26 Uhr

Wenger: Gegenwind zum 65. Geburtstag

Am Mittwoch wird die lebende Arsenal-Legende Arsène Wenger 65 Jahre alt. Selten zuvor in seiner Amtszeit war der Franzose so umstritten wie heute. Nach sportlich wenig erfolgreichen Jahren, zweifelhaften Personalentscheidungen und dem durchwachsenen Saisonstart mit nur elf Punkten aus acht Ligaspielen hat der früher unantastbare Trainer im Umfeld der Gunners nur noch wenig Kredit – und muss sich inzwischen sogar öffentlich für seine Fehler rechtfertigen.

Sir Chips Keswick gab bei der Jahreshauptversammlung der Arsenal-Aktionäre am 16. Oktober den "Advocatus Diaboli". Der Vorstandsvorsitzende fragte Wenger kritisch, ob dieser nicht im Sommer versäumt habe, einen weiteren Verteidiger zu verpflichten. Denn trotz Investitionen von über 100 Millionen Euro verfügen die vom Verletzungspech gebeutelten Gunners nur über sechs gestandene Abwehrspieler.

Wenger gab unumwunden zu, bei der Kaderplanung geschlampt zu haben. "Ja, wir hätten noch einen Spieler holen sollen", so der Franzose. "Wir müssen das im Januar auf dem Transfermarkt korrigieren. Wir sind in der Defensive zu dünn besetzt." Ein bemerkenswertes Geständnis des Teammanagers, der normalerweise nicht dafür bekannt ist, eigene Versäumnisse einzuräumen.

Verschlechterung der Beziehung

Zwar ruderte Keswick im weiteren Verlauf der Veranstaltung zurück, sicherte dem Franzosen die "hundertprozentige Rückendeckung" des Vorstands zu und entschuldigte sich für die zu forsche Einmischung in sportliche Belange. Doch die Episode ist ein Indiz für das nicht mehr völlig intakte Verhältnis zwischen Wenger und dem Klub.

Hätte das öffentliche Hinterfragen des allmächtigen Teammanagers vor wenigen Jahren noch als unerhöhrte Majestätsbeleidung gegolten, bedachten die Shareholder der Gunners den Vorstoß ihres Vorstandsvorsitzenden nun mit großem Applaus.

Kredit ist langsam aufgebraucht

Zu lange zehrte Wenger von den großen Erfolgen der Frühphase seiner inzwischen 18-jährigen Amtszeit. Mit der Einführung moderner Trainingsmethoden und einer auf Spektakel angelegten Fußballphilosophie revolutionierte "Le Professeur" nicht nur den gesamten englischen Fußball. Unter seiner Regie entwickelte sich Arsenal auch zum europäischen Schwergewicht und gewann Titel um Titel - darunter 2004 ungeschlagen die englische Meisterschaft.

Nach dem Gewinn des FA Cups im darauffolgenden Jahr begann das Wenger-Denkmal aber langsam zu bröckeln. Neun Jahre blieben die Gunners titellos. Erst der erneute Pokal-Triumph im vergangenen Sommer – bereits der fünfte in der Ära Wenger – beendete diese Durststrecke. Da war der einstmals Unantastbare aber schon längst nicht mehr unumstritten, hatte während einer Ergebniskrise im Frühjahr 2013 angeblich sogar bereits kurz vor der Entlassung gestanden.

"Wallet-shy Wenger"

Während die zahlungsfreudige Konkurrenz auf der Insel mit Geld um sich warf und so den sportlichen Erfolg kaufte, blieb der von den eigenen Fans spöttisch "wallet-shy Wenger", der geizige Wenger, genannte Franzose lange zu sparsam. "Wir kaufen keine Superstars. Wir machen sie", lautete sein Credo. Erst die 50-Millionen-Verpflichtung von Mesut Özil markierte im Sommer 2013 die Abkehr von dieser Marschroute.

Zunächst vielumjubelt, konnte allerdings auch der Arsenal-Rekordtransfer Wenger nicht nachhaltig den Rücken stärken. Zu formschwach präsentierte sich sein derzeit verletzter Wunschspieler über weite Strecken seines ersten Jahres in der englischen Hauptstadt.

Arsenal kein echtes Topteam mehr

In der Premier League hat Arsenal trotz der höheren Risikobereitschaft Wengers auf dem Transfermarkt den Anschluss an die Top-Teams verloren. Das Spielermaterial reicht seit Jahren nicht aus, um ganz oben mitzuspielen. Sogar die eigenen Fans werfen Wenger fehlende taktische Flexibilität vor. 2008 griffen die Gunners letztmals ernsthaft in den Kampf um die Meisterschaft ein.

Aktuell liegt man satte elf Punkte hinter Tabellenführer Chelsea auf Rang sieben. Die sang- und klanglose 0:2-Niederlage gegen Intimfeind José Mourinho und seine Blues Anfang Oktober traf Wenger schwer. "Es war für mich traumatisierend", sagte der Franzose. "Die Art und Weise, wie wir verloren haben, war sehr schwer hinzunehmen."

Europa als kleiner Lichtblick

Ein Abo auf die Champions League haben die Londoner unter ihrem "ewigen" Teammanager allerdings noch immer. In jeder seiner Spielzeiten an der Seitenlinie qualifizierte sich Arsenal für den wichtigsten europäischen Vereinswettbewerb. Mehr als die Finalteilnahme von 2006 sprang dabei jedoch nicht heraus. Zuletzt war viermal in Folge bereits im Achtelfinale Endstadion.

Auch am 65. Geburtstag Wengers muss Arsenal in der Königsklasse antreten. Nach der Auftaktniederlage in Dortmund und dem Heimsieg gegen Galatasaray sind im Gruppenspiel bei Außenseiter RSC Anderlecht (am Mittwoch ab 20:45 Uhr im weltfussball-Liveticker) drei Punkte fest eingeplant. Sollte dieses Vorhaben misslingen, wird sich das Geburtstagskind zumindest weitere kritische Fragen gefallen lassen müssen.

Tobias Knoop

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