24.01.2015 17:04 Uhr

AC Milan: Gefangen im Mittelmaß

Mit hängenden Köpfen schleichen die Rossoneri nach der Niederlage gegen Bergamo vom Platz
Mit hängenden Köpfen schleichen die Rossoneri nach der Niederlage gegen Bergamo vom Platz

Fehlende Ergebnisse, eine durchschnittliche Mannschaft, ein ratlos wirkender Trainer und aufgebrachte Fans: Beim AC Milan rumort es vor und hinter den Kulissen. Ein Ausweg aus der Krise ist nicht in Sicht.

Denkwürdige Abende gab es in der Historie des AC Milan mehr als genug. Allein 21 internationale und 33 nationale Pokale zieren den Trophäenraum des 18-fachen italienischen Meisters. Heute wirken diese Titel wie ein wertloses Relikt der Vergangenheit. Die aktuelle Mannschaft der Rossoneri verkörpert nicht mehr als graues Mittelmaß.

Schon die nackten Zahlen belegen, wie weit der siebenfache Champions-League-Sieger den eigenen Ansprüchen hinterher hinkt. 20 Punkte Rückstand auf Tabellenführer Turin, magere vier Heim-, ganze zwei Auswärtssiege, neun erzielte Tore in den letzten zehn Spielen und reihenweise Rückschläge gegen Mannschaften, die vor wenigen Jahren allein bei der Ankunft im San Siro schlottrige Knie hatten. Kurzfristige Besserung? Ist nicht in Sicht. Im Gegenteil.

"Milan ist ein Pulverfass"

Das jüngste 0:1 gegen Atalanta Bergamo war der vorerst letzte einer ganzen Reihe von Rückschlägen. Mit einem gellenden Pfeifkonzert wurde die Mannschaft von den eigenen Fans abgestraft. "Die Pfiffe waren berechtigt. Wir müssen alles dafür tun, sie im nächsten Spiel wieder in Applaus zu verwandeln", sagte der sichtlich angeschlagene Filippo Inzaghi nach dem sechsten sieglosen Heimspiel in dieser Saison. Dabei steht auch der Trainer selbst im Kreuzfeuer der Kritik.

24 verschiedene Spieler beorderte der Trainer-Novize in den bisherigen 19 Saisonspielen in die Startelf. Von Spiel zu Spiel baut der ehemalige Weltklasse-Stürmer sein Team um. Konstanz? Fehlanzeige. Sein Team agiert mitunter mut- und konzeptlos in der Offensive und hochgradig anfällig in der Defensive. Dass der AC in der laufenden Spielzeit mehr Kopfballtreffer (6) als jede andere Mannschaft der Liga kassiert hat, ist auch seinen ständigen Umbaumaßnahmen in der Viererkette geschuldet.

Zudem scheint es innerhalb des Teams zu brodeln. Jüngster Beweis: eine handfeste Auseinandersetzung zwischen Neuzugang Alessio Cerci und Ignazio Abate in der Halbzeitpause der Partie gegen Bergamo. Am Tag danach titelte die "Corriero dello Sport": "Milan ist ein Pulverfass", und traf den Nagel damit auf den Kopf.

Rundumschlag von Silvio Berlusconi

Silvio Berlusconi höchstpersönlich fasste den aktuellen Gemütszustand rund um das San Siro am treffendsten zusammen: "Ich verstehe, dass wir im Moment nicht bei einer Mannschaft wie Barcelona gewinnen können, aber es ist völlig inakzeptabel, dass wir gegen ein Team verlieren, dessen Spieler fünfmal weniger als unsere verdienen."

Nur: Wie soll sich dieser Kader aus der Krise befreien? Stürmer Jérémy Ménez (neun Saisontore) spielt zwar die erfolgreichste Saison seiner Laufbahn und auch Keisuke Honda (acht Scorerpunkte) ist ein verlässlicher Anker, doch mit Ausnahme des jungen Rechtsverteidigers Mattia De Sciglio (22) wirkt der Rest der Mannschaft den Ansprüchen nicht gewachsen. Ein radikaler Umbau könnte die Lösung sein. Allerdings fehlt in der Kasse schlicht und ergreifend das nötige Kleingeld.

Erst zu Beginn des Jahres musste der Verein seinen Mannschaftsbus veräußern, um zwischen 200.000 und 300.000 Euro pro Saison zu sparen. Ein Armutszeugnis für einen Klub, der noch vor wenigen Jahren in einem Atemzug mit Real Madrid, dem FC Bayern, Manchester United und Co. genannt wurde.

Kader ohne große Perspektive

Die miserbale Personalpolitik der letzten Jahre hat den großen AC Milan endgültig eingeholt. Mit Hachim Mastour (16) steht ein "Supertalent" vor dem Sprung in die erste Mannschaft, mit dem Spanier Suso (21) wurde im Winter ein junger Kicker mit Potenzial verpflichtet. Auch der Ägypter Stephan El Shaarawy (22) könnte, sofern er an seine Form von vor zwei Jahren anknüpft, ein wichtiger Mann für die Zukunft sein. Viel mehr Perspektive bietet der aktuelle Kader jedoch nicht.

Auch die Entscheidung, Fillipo Inzaghi als Trainer zu installieren, erweist sich Stand heute als Fehler. Warum man nach dem misslungenen Experiment mit Clarence Seedorf erneut auf einen völlig unerfahrenen Übungsleiter gesetzt hat, bleibt das Geheimnis der Klubführung. Die hat dem Vernehmen nach bereits ein Krisengespräch mit Inzaghi anberaumt.

Ob sein möglicher Rauswurf mangels Alternativen die richtige Lösung wäre, ist eine Frage, die nur Präsident Galliani beantworten kann. Italienische Medien jonglieren bereits mit Namen möglicher Nachfolger. So geistert unter anderem der Name Luciano Spalletti durch die Gazetten.

"Sie geben nicht alles, relaxen und joggen über das Feld"

Fakt ist: Die aktuelle Version des AC Milan hat mit denen aus der glorreichen Vergangenheit nichts gemein. "Sie zerreißen sich nicht. Sie geben nicht alles, relaxen und joggen über das Feld. Wenn man nicht rennt und kämpft, wird man sich an dieses Milan gewöhnen müssen", orakelte Ex-Spieler Zvonimir Boban zuletzt. Auch er vermisst die Tugenden, die die Rossoneri einst in die Elite aufstiegen ließen.

Sollte der Kroate Recht behalten, könnten die Rot-Schwarzen für längere Zeit von der europäischen Bildfläche verschwinden und endgültig im Mittelmaß versinken. Zumindest die Champions-League-Teilnahme und der Traum von der 19. Meisterschaft sind derzeit so weit weg wie die Erinnerungen an die 54 glänzenden Pokale im Trophäenschrank.

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Christian Schenzel

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