02.04.2015 10:30 Uhr

"Dickerchen" Walter: Legende mal anders

Wálter ist ein Phänomen in Brasilien
Wálter ist ein Phänomen in Brasilien

"Wo ist Walter?" hieß es dieser Tage in der Presse von Rio de Janeiro. "Wer bezahlt Walter?" fragte sich sein bisheriger Klub Fluminense und "wie viel wiegt Walter?" lästert derweil der allgemeine brasilianische Fußballfan. Die weltfussball-Südamerika-Kolumne.

Walter Henrique da Silva, genannt "Walter", ist eigentlich kein besonderer brasilianischer Fußballer. Geboren in Armut und umgeben von Gewalt in Recife im Nordosten, durchquerte er ganz Brasilien, um seiner wohl einzigen großen beruflichen Chance nachzugehen: Fußballprofi zu werden.

2008 debütierte er als Stürmer ganz im Süden bei Internacional in Porto Alegre. Nach einer schweren Knöchelverletzung, ausstehenden Gehaltszahlungen, einem Trainingsboykott seinerseits und einer zeitweiligen Suspendierung durch den Verein, gewinnt er schließlich als 19-jähriger Ergänzungsspieler 2010 die Copa Libertadores.

"Kleines, dickes Walter"

Der FC Porto, Brasilienimporteur par excellence, klopft an und kurz darauf findet sich Walter beim portugiesischen Rekordmeister an der Seite von Superstürmer Hulk wieder. Walter schießt durchaus Tore für Porto. Rein statistisch sogar mit einer identischen Quote wie seinerzeit Hulk.

Aber Walter ist kein Superheld wie Hulk und sieht auch nicht so aus. Walter ist seit jeher ein etwas rundlicher Mittelstürmer. Neben Radamel Falcao, James Rodríguez und eben Hulk hat er keine Chance. Während Hulk Porto für 40 Millionen gen Russland verlässt, wird "kleines, dickes Walter" zurück nach Brasilien abgeschoben.

"Hulk ist wie ein Bruder für mich", sagt Walter damals bei seinem Abschied. "Er wollte nicht, dass ich Porto verlasse" und so nimmt Walter wenigstens eine Freundschaft aus Portugal mit. Er wird an Cruzeiro in Belo Horizonte ausgeliehen und weist vehement jede Diskussion über seine Statur von sich. "Ich nehme zu und ab wie jeder andere auch. Noch nie habe ich wegen Übergewicht nicht spielen können." Bei Cruzeiro spielt er allerdings kaum und trifft nie. Also folgt ein weiteres Leihgeschäft zu Goiás, wo Walter seinen Torinstinkt wiederentdeckt. Monatelang führt er die Torjägerliste an und ganz Brasilien spricht plötzlich über "o gordinho", das "Dickerchen".

Walter landet bei Fluminense

Weiter geht es für Walter bei Fluminense in Rio de Janeiro. Der Traditionsverein hat in den letzten Jahren eine wahrhaftige Achterbahnfahrt erlebt. 1998 war "Flu" bis in die 3. Liga abstiegen, zehn Jahre später erreicht man die Endspiele der Copa Libertadores und der Copa Sudamericana. Zwar verpasst man knapp einen internationalen Titel (kurioserweise zwei Mal gegen LDU Quito aus Ecuador), aber dennoch ist es die erfolgreichste Zeit der Vereinsgeschichte. Fluminense bringt mit Thiago Silva einen der heute besten Innenverteidiger der Welt hervor und gewinnt 2010 und 2012 die brasilianische Meisterschaft mit Deco als Spielmacher. Genau, "der" Deco.

2013 steigt das Team aus dem Stadtteil "Laranjeiras" sportlich erneut ab, schafft es aber durch juristische Lobbyarbeit, einem kleineren Verein einen überhohen Punktabzug aufzuerlegen und hält schließlich unter großem Protest und Gelächter die höchste Spielklasse. In guten wie in schlechten Zeiten seit sechs Jahren immer ein Fels im gegnerischen Strafraum: Frederico Chaves Guedes.

Dieser Mittelstürmer "Fred" ist jener, der bei der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr von seinem kompletten Heimatland verteufelt wurde. Auch TV-Experte Mehmet Scholl konnte es schlichtweg nicht fassen, "dass es auf der ganzen Welt keinen besseren brasilianischen Stürmer als diesen Fred" gebe. Bei seinem Verein Fluminense hat Fred allerdings in den letzten Jahren immer überzeugt, wurde in der vergangenen Meisterschaft erneut Torschützenkönig der Liga und wartet dieser Tage auf seinen 300. Treffer im Profifußball.

Unimed und Fred haben Walter auf dem Gewissen

Ähnlich wichtig für den Klub war bis Ende letzten Jahres die private Krankenkasse und Ärztevereinigung Unimed. Der Großkonzern päppelte Fluminense 1999 von der 3. Liga bis in die internationale Spitze und trägt durch den Erwerb der Bild- und Werberechte vieler Stars des Vereins einen bis zu 80 Prozent hohen Anteil der Spielergehälter.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Was haben Unimed und Fred mit Walter zu tun? Sie haben ihn in die Flucht getrieben. Am Dienstagnachmittag zog sich "kleines, dickes Walter" in der Kabine noch in aller Ruhe seine Sportklamotten über, tauchte allerdings nie auf dem Trainingsplatz auf! Ein Riesenskandal in der Woche vor dem großen Derby gegen Flamengo. "Wo ist Walter?", fragte sich eine ganze Fußballnation.

Walter hatte sich frustriert verdünnisiert, denn durch den Ausstieg von Unimed hat er seit Monaten kein volles Gehalt bekommen. Zudem kündigte der Coach an, nur auf eine Sturmspitze, also Fred, zu setzen. Für Walter ist mal wieder kein Platz, so dass er sich, anstatt zu trainieren, nach einem neuen Team umsehen wollte. Vermutlich platziert "Immer noch-Besitzer" Porto nun Walter in Curitiba bei Atlético Paranaense. Da ist derzeit auch Krise und ein Torjäger wie Walter wird händeringend benötigt.

Mehr aus der Südamerika-Kolumne:
>> Teil 2: Chiles goldene Generation der "Flegel"
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Für weltfussball berichtet aus Südamerika: Viktor Coco

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