11.05.2015 10:50 Uhr

Bradford City: Inferno in der Feuerhölle

Die Brandkatastrophe in Bradford
Die Brandkatastrophe in Bradford

Der 11. Mai 1985, als bei der größten Feuerkatastrophe in der Geschichte des englischen Fußballs 56 Menschen starben, lastet tonnenschwer über Bradford City. Eine ganze Tribüne des Valley Parade Stadium war dabei innerhalb von Minuten in Flammen aufgegangen und führte die Meisterfeier in der Third Division ad absurdum.

Eingebrannt ins Gedächtnis: Trauriger und treffender kann man nicht beschreiben, was im Mai 1985 an einem zunächst ganz normalen Samstagnachmittag in der Stadt in der englischen Grafschaft West Yorkshire passierte. Der 1903 gegründete Bradford City Association Football Club hatte sich den Titel in der damaligen Third Division gesichert, womit das letzte Heimspiel gegen Lincoln City zu einer großen Party werden sollte. 11.076 Zuschauer waren in Valley Parade versammelt.

Die traditionelle Heimstätte alter britischer Prägung hatte einen ganz speziellen Charme. Der Sporthistoriker Simon Inglis beschrieb die Sicht auf das Spielfeld so: "Wie wenn man sich Fußball aus dem Cockpit eines Doppeldecker-Jagdflugzeugs aus dem ersten Weltkrieg ansehen würde."
>> So sah die alte Holztribüne vor dem Brand aus

Die Behörden hatten mit dem 1886 entstandenen Valley Parade jedoch weit weniger Freude. Unter der Holztribüne hatte sich jahrelang Abfall angesammelt, weshalb der Verein in einem Brief gewarnt worden war. "Eine unachtsam weggeworfene Zigarette könnte ein Feuer auslösen."

Genau dies soll auch zur Katastrophe geführt haben. Wie spätere Ermittlungen zeigten, entstand das Feuer durch eine ausgedrückte Zigarette in einer Kunststoff-Tasse. Diese fiel durch ein Loch zwischen den Stufen auf der Tribüne und setzte die Abfälle in Brand. Mittlerweile waren in der Partie zwischen Bradford und Lincoln 40 Minuten gespielt und es stand immer noch 0:0, als erstmals Anzeichen des Feuers entdeckt wurden.

Die Chronologie des Infernos

Zunächst schien der Brand noch relativ harmlos zu sein und wurde deshalb völlig unterschätzt. Doch die äußeren Umstände traten eine Tragödie los: Zunächst wurde kein Feuerlöscher gefunden und außerdem fachte der heftige Wind die Flammen weiter an. Dazu kam noch, dass sich die Hitze unter dem Holzdach aufstaute, welches mit Planen, Asphalt und Pech bedeckt war. Durch den folgenden Flashover stand die komplette Tribüne innerhalb von neun Minuten vollständig unter Feuer.

Im Stadion entstand eine Panik, verschlossene Ausgänge besiegelten für viele Menschen den Tod. Retten konnten sich vor allem jene Zuschauer, die auf das Spielfeld geflüchtet waren. Einer von ihnen brannte aber bereits am ganzen Körper. Zwar gelang es die Flammen zu löschen, aber der Pensionist verstarb später im Spital. Von den 56 Opfern war mehr als die Hälfte unter 20 oder über 70 Jahre alt. Darunter auch der ehemalige Vereinspräsident Sam Firth mit 86 Jahren als ältester der Toten.

Viele Kinder überlebten nur deshalb, weil sie von Erwachsenen zur Rettung über die Wände geworfen wurden. Andere Zuschauer konnten sich hingegen nicht mehr in Sicherheit bringen: Dazu gehörten drei Fans, die versuchten über die Toiletten zu flüchten, zwei ältere Personen, die in ihren Sitzen starben und zahlreiche Menschen, die unter den Drehkreuzen erdrückt wurden. Der Großteil starb aber an einer Rauchvergiftung.

Das ganze Ausmaß der Katastrophe wurde erst am nächsten Tag klar. Nicht nur Queen Elisabeth II. und die damalige Premier-Ministerin Margaret Thatcher bekundeten bei der landesweiten Kampagne ihre Unterstützung, weltweit reichte die Hilfe sogar bis zum Papst.

Unfall oder Versicherungsbetrug?

Die Aufarbeitung des Falls dauerte einige Wochen, bis ein Gericht entschied: Das Feuer war ein Unfall. Die Version um die Zigarette ist die offizielle Wahrheit um die Brandkatastrophe. Der Vollständigkeit halber muss man aber auch anführen, dass nicht jeder diese Wahrheit teilt: Martin Fletcher, ein Überlebender der Tragödie, enthüllte in seinem Buch "56" mysteriöse Zusammenhänge um den damaligen Vereinsboss Stafford Heginbotham.

"Ich will nicht länger mit dieser Lüge leben", sagte Fletcher der englischen Zeitung "Guardian" über die offizielle Darstellung. In mehr als 15 Jahre langer Recherchearbeit will er herausgefunden haben, dass Heginbotham damals die durch den Aufstieg von Bradford City nötigen Umbaumaßnahmen nicht bezahlen konnte – und unterstellt diesem Versicherungsbetrug.

Ebenfalls kurios: Zwischen 1967 und 1981 war es darüber hinaus offenbar in acht Betrieben, mit denen Heginbotham direkt oder indirekt zu tun hatte, zu Bränden gekommen. Fletcher beschuldigt Heginbotham nicht direkt der Brandstiftung, stellt aber die Frage: "Wie kann ein Mensch allein so viel Pech haben?" Bei Heginbotham gilt die Unschuldsvermutung.

Offiziell werden die Vermutungen von Fletcher bestritten. Gerry Sutcliffe, damals in leitender Funktion für die Stadt, wiegelte die Anschuldigungen ab: "Das Gericht hat festgestellt, dass das Feuer durch eine Zigarette entfacht wurde. Ich habe nichts gehört, was mich überzeugen könnte, dass das nicht der Fall war".

Für immer Valley Parade

Ob der Fall nach den neuesten Erkenntnissen – bzw. Vermutungen – neu aufgerollt werden wird, ist wohl unwahrscheinlich. Fakt ist auf die eine oder auf die andere Weise: Bradford City war vor 30 Jahren auf die entsetzlichste Art und Weise in die Schlagzeilen geraten.

Der Verein musste in den folgenden Jahren mit seinen Heimspielen nach Leeds, Huddersfield und ins Stadion des örtlichen Rugby-Vereins ausweichen, weil Valley Parade nach der Brandkatastrophe renoviert wurde. Heute trägt jener Platz, wo sich das Schicksal vieler Menschen entschieden hat, den Sponsornamen Coral Windows Stadium.

Für die Menschen in Bradford ist und bleibt ihr Stadion aber Valley Parade. Dort erlebten sie sportliche Triumphe und wirkliche Tragödien – keine Niederlagen in einem Fußballspiel.

Mehr dazu:
>> Vereinsprofil Bradford City
>> Stadionprofil Valley Parade

Christian Tragschitz/Jochen Rabe

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