21.05.2015 10:43 Uhr

Carlitos und der "Tévez vor Tévez"

Carlos Tévez schickt beim Torjubel einen Gruß ins Armenviertel
Carlos Tévez schickt beim Torjubel einen Gruß ins Armenviertel

Der italienische Pokal ist bereits der 21. Titel in der Karriere von Carlos Tévez. "Der Spieler des Volkes" stammt aus einem der gefährlichsten Viertel von Buenos Aires und ist ein Siegertyp, der seinesgleichen sucht. Dabei entging er wohl nur knapp einem ganz anderen, vermutlich kurzen Leben.

Darío Coronel wächst auf im Block 1 im sogenannten "Fuerte Apache", einem heruntergekommenen Hochhausviertel im westlichen Speckgürtel von Buenos Aires. Als kleiner Junge auf dem Bolzplatz und später im Team von "Santa Clara" trickst er und schießt Tore am laufenden Band. Bereits damals sagen alle von ihm, dass er es einmal in die Nationalmannschaft schaffen würde. Mit seinem besten Freund Carlos Tévez wechselt er in die Jugend von All Boys und gewinnt dort innerhalb von sechs Jahren die Meisterschaften aller Altersklassen. Gemeinsam versuchen die Beiden ihr Glück bei einem Probetraining von Vélez Sarsfield. Er wird genommen, sein bester Freund fällt durch.

Mit fünfzehn Jahren beginnt er Klebstoff zu schnüffeln und verbringt zu viel Zeit mit den "Backstreet Boys", einer Straßengang aus "Fuerte Apache".  Beim Überfall auf ein Kasino erschießt er einen Polizisten. Seitdem ist er zum Abschuss freigegeben. Wenige Wochen später rennt er um sein Leben, die Polizei ist ihm auf den Fersen. Er steckt in der Falle. Bevor sie ihn abknallen, jagt er sich selber eine Kugel in den Kopf.

Tod des besten Freundes

Darío Coronel stirbt mit 17 Jahren, als sein bester Freund Carlos Tévez erstmals für die argentinische U17-Nationalmannschaft trainiert. Der Journalist Gustavo Grabia nannte Coronel einst den "Tévez vor Tévez", denn eigentlich hatten alle Beobachter des Ausnahmeduos vor allem ihm eine rosige Zukunft vorausgesagt. Aber Coronel lebte das Leben, dem Carlitos vielleicht knapp entgangen ist.  

Carlos heißt übrigens damals noch nicht Tévez sondern "Martínez". Nachdem er bei Vélez gescheitert ist, bekommt er kurz darauf eine Chance in der Jugend seines Lieblingsvereins Boca Juniors. Er wird genommen, mehr oder weniger heimlich melden ihn seine Adoptiveltern bei All Boys ab und lassen ihn bei Boca mit seinem zweiten Nachnamen "Tévez" eintragen.

2001 debütiert Carlitos in der Profimannschaft. Damals sagt er: "Mir ist egal was die Leute denken. Ich werde meine Wurzeln nicht vergessen. Die Jungs sagen immer zu mir 'wenn du ganz oben ankommst, vergiss nicht die Armen'." Mit Boca gewinnt er die argentinische Meisterschaft, die Copa Libertadores, die Copa Sudamericana und den Weltpokal.

"Der Spieler des Volkes"

Tévez wird schnell zum Publikumsliebling, man tauft ihn "den Spieler des Volkes".  Wie so viele aus den Armenvierteln, liebt er "Villera", eine klapprige Ghetto-Variante der Cumbia. Bands widmen ihm Lieder, er selbst singt in Gastauftritten. "Im Mannschaftsbus läuft nur Cumbia Villera" sagt er damals in einem TV-Interview, bekleidet mit einem Rapper-Outfit wie Jessy Pinkman aus "Breaking Bad". "Wer Rock hören will, soll Kopfhörer benutzen." Auch auf seiner zweiten Station Corinthians in Brasilien gewinnt er die Meisterschaft und tanzt Cumbia an der Eckfahne.

Zusammen mit Javier Mascherano wechselt er schließlich in die Premier League zu West Ham United und bewahrt die "Hammers" mit seinen Toren vor dem Abstieg. Bei ManUnited holt er alle nationalen Pokale, zweimal hintereinander die Meisterschaft, die Champions League und nochmal den Weltpokal. Während die Fans im Old Trafford trotz Falklandkrieg und Maradona '86  ihm zuliebe "Argentina, Argentina" skandieren, gibt Carlitos bei der zweiten Meisterfeier ein legendäres Interview. Mit seinem breiten Grinsen erklärt er seinen Verbleib für "veri difficul" - und wechselt kurz darauf zum Stadtrivalen Manchester City. Kurzzeitig will ihn die ganze Stadt lynchen, aber Tévez ist ein sympathischer Siegertyp und holt auch bei den "Citizens" trotz schwieriger Phasen unter Coach Mancini die Meisterschaft. 

Liebe auf den ersten Blick

Juventus ist Liebe auf den ersten Blick. Der Pokalsieg gegen Lazio ist bereits der 21. Titel seiner Karriere. Er ist einer der erfolgreichsten Vereinsfußballer dieser Zeit und hat dabei seine Wurzeln nie vergessen. Auf all seinen Stationen hat er beim Torjubel auf T-Shirts immer wieder die Namen verschiedener Armenvierteln in Buenos Aires präsentiert: Villa 31, La Maciel, Villa Palito, Villa La Ñata, Fuerte Apache. Am 6. Juni in Berlin will er wieder sein Trikot lüften. Für eine einzigartige Karriere. Für Fuerte Apache, für seine Jungs, für Darío Coronel.

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Für weltfussball berichtet aus Südamerika: Viktor Coco

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