29.05.2015 10:18 Uhr

Wenn Löwen Störche fürchten müssen

Gemeinsam sind sie stark: Karsten Neitzel (r.) und sein Team streben den Aufstieg an
Gemeinsam sind sie stark: Karsten Neitzel (r.) und sein Team streben den Aufstieg an

Vor dem Relegationsduell um die 2. Liga badet der TSV 1860 mal wieder ausgiebig in Negativschlagzeilen. Holstein Kiel scheint indessen eine Art Gegenentwurf zum Münchener Chaos-Klub zu sein. Müssen die Löwen die Störche fürchten?

19 Arten von Störchenvögeln gibt es. Der hierzulande verbreitete Weißstorch legt auf seinem jährlichen Flug in die afrikanischen Winterquartiere immerhin bis zu 10.000 km zurück. Doch kaum minder imposant erscheint der Flug der Kieler "Störche", so der Spitzname des nördlichsten Klubs im deutschen Profifußball, im letzten Jahr. Auch er lässt sich mit einer Zahl beziffern: 13. So viele Tabellenplätze kletterte die KSV Holstein in der Abschlusstabelle der 3. Liga gegenüber der Vorsaison nach oben. Nur ein Jahr, nach dem erst am letzten Spieltag der Klassenerhalt gesichert wurde, dürfen die Norddeutschen somit nun in der Relegation um die 2. Liga spielen.

Glaubt man den Verantwortlichen an der Förde, hängt das eine Erlebnis unmittelbar mit dem anderen zusammen. Bereits im Frühjahr verriet Holsteins Trainer Karsten Neitzel gegenüber weltfussball, dass der Umgang mit der schwachen Spielzeit 2013/2014 ganz wesentlich für den Charakter seiner Mannschaft wurde: "Wenn du eine zusammengeschweißte Truppe hast, die auch schon mal 13 Spiele lang kein Spiel gewonnen hat so wie wir letztes Jahr, dann gehst du mit unserer jetzigen Situation auch anders um. Jetzt laufen viele Dinge gruppendynamisch eh von ganz alleine. Viel beeindruckender war der Umgang hier miteinander in der letzten Saison, als es eben nicht lief. Wenn du so eine Erfahrung gewinnbringend in die tägliche Arbeit einbringst, ist das eine Hilfe."

Prunkstück Defensive

Die Antwort auf die Frage, wie sich diese Worte auf dem Rasen widerspiegeln, fällt nicht schwer: Arbeitswille, Laufbereitschaft und Teamgeist ließen in Kiel die beste Defensive der 3. Liga entstehen. Nur 30 Treffer kassierten die Störche, gleich 18 Mal stand "die Null". Besondere Verantwortung dafür schreiben manche Experten auch Torhüter Kenneth Kronholm zu. Der Deutsch-Amerikaner stand in den letzten beiden Spielzeiten jede Minute zwischen den Pfosten - und für den Kieler Journalisten Andreas Geidel zuletzt auch in der Rangliste der Drittliga-Schlussmänner ganz vorne: "Kenneth Kronholm ist für mich eindeutig der beste Keeper der Liga in dieser Saison, der hat Kiel bestimmt schon zehn Punkte gebracht", so der Holstein-Kenner im März diesen Jahres gegenüber weltfussball.

Große Veränderungen, gar einen Stilbruch oder sonstiges Tamtam, wie man es von manch anderen Klubs kennt, attestiert Geidel dem seit 2013 in Kiel tätigem Trainer und seinem Team nicht: "Es ist nicht so, dass plötzlich ein komplett anderer Fußball gespielt wird. Es hat sich strategisch nicht viel verändert. Nach hinten wird sensationell gearbeitet, vorne fehlt in manchen Situationen noch die Übersicht. Taktgeber ist eindeutig Kapitän Rafael Kazior, der auf dem Platz die Kommandos gibt. Außerdem hat sich die Verpflichtung von Linksverteidiger Patrick Kohlmann als Goldgriff erwiesen."

Reserven im Tank

Wenngleich das Augenmerk zweifelsohne auf der Defensive liegt, sollte man die Abteilung Attacke der Norddeutschen nicht gänzlich außer Acht lassen: Die 53 Saisontreffer stellen immerhin noch den fünftbesten Wert der Liga dar. Über den einen überragenden Knipser verfügen die Störche dabei nicht, wohl aber mit Marc Heider, Manuel Schäffler und eben "Taktgeber" Kazior als einzige Mannschaft der Liga über gleich drei Spieler, die eine zweistellige Trefferquote aufweisen können.

Das macht den Relegationsgegner der Münchener Löwen nicht gerade berechenbarer. Und auf noch etwas sollten die Sechziger besser nicht setzen: Dass sie der KSV physisch überlegen sein könnten. Anhaltspunkt dafür: Während der Zweitligist seine stärkere Phase in der Saison 2014/2015 eher regelmäßig in der ersten Halbzeit hatte (44 Punkte) und nach dem Seitwechsel schlechter aussah (38), drehten die Norddeutschen mit zunehmener Spieldauer statistisch gesehen erst richtig auf: 55 Punkten im ersten Durchgang stehen satte 65 im zweiten gegenüber.

Zwischen Euphorie und Gelassenheit

Und während in München Handgreiflichkeiten, Eitelkeiten und das ewige Leid ums liebe Geld mal wieder die Schlagzeilen beherrschen, sieht man in Kiel dem Duell mit einer Mischung aus Euphorie und Gelassenheit entgegen: "Das Schöne ist, dass es im Verein nicht den geringsten Aufstiegsdruck gibt. Da wird die Mannschaft in Ruhe gelassen. Die Rahmenbedingungen sind vergleichsweise überragend", so Andreas Geidel, der dies nicht nur auf das Umfeld, sondern auch auf die finanzielle Lage des Klubs gemünzt wissen will.

Wenn in den kommenden Tagen zum bereits siebten Mal seit 2009 ein Zweit- und ein Drittligist im finalen Duell um die 2. Bundesliga die Klingen kreuzen, spricht also nicht wenig dafür, dass diesmal sogar Löwen Störche fürchten müssen.

Mehr dazu:
>> Kiel: Wege, die nicht beklatscht werden
>> 1860 München mit Kurz-Trainingslager
Tipp: weltfussball berichtet live vom Duell zwischen Holstein und 1860

Mats-Yannick Roth / Lars Plantholt

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