15.06.2015 07:15 Uhr

Der Glaube versetzte den Berg

Kollektiver Freudentaumel
Kollektiver Freudentaumel

"Das Ziel scheint nahe zu sein, ist aber nicht so schnell zu erreichen." Das russische Sprichwort, das Reiseleiterin Natascha der ÖFB-Mediencrew auf der Fahrt vom Flughafen Richtung Hotel mitgegeben hatte, klingt nach dem Spiel wieder im Ohr. Österreich gewinnt gegen Russland mit 1:0. Das Ziel, die EM-Endrunde mit Startschuss am 10. Juni 2016 in knapp einem Jahr, liegt zum Greifen nahe.

"Wir haben den Glauben und sehen das Ziel", bekräftigte Teamkapitän Christian Fuchs vor dem Spiel - der Glaube an die eigenen Stärken und nicht in einem religiösem Sinne. Nach einer nervenaufreibenden zweiten Halbzeit mit etlichen Chancen für die Gastgeber erlöste der Schlusspfiff nach drei Minuten Nachspielzeit Mannschaft und Teams gleichermaßen.

Während die Österreicher feierten, verließen die Heimfans das Stadion. Nach der enttäuschenden WM-Endrunde in Brasilien inklusive Vorrunden-Aus scheint bei der Sbornaja endgültig die Luft heraußen. Die schon vorab spürbare fehlende Begeisterung und Spannung zeigte sich in der nicht ausverkauften Otkrytije Arena. Einige tausend der 42.000 Plätze blieben leer. Die Fans sorgten zwar für eine lautstarke Atmosphäre, der gefürchtete Hexenkessel in der neugebauten Arena blieb Marc Janko und Co. jedoch erspart. "Man hat dem Publikum angehört, dass sie nicht zufrieden sind", merkte auch ÖFB-Teamchef Marcel Koller an.

Für Wettanbieter Österreich Außenseiter

Selbst im Stadtzentrum rund um den Kreml wies am Nachmittag bis auf einige rotweißrote Fans nichts auf die so wichtige Partie in der EM-Quali hin. Auch der einzige Fanshop innerhalb des Stadionvorplatzes hatte lediglich Merchandising in den rotweißen Farben des Heimklubs Spartak Moskva im Sortiment. Die Frage nach Schals in Farben der russischen Trikolore quittierte der Verkäufer mit einem Achselzucken und zog sich ins Innere seines kleinen Standes zurück.

Durch das 3:1 der Schweden zu Hause gegen Montenegro ist es für die Russen schwer, überhaupt den zweiten Platz zu erreichen. Internationale Wettanbieter müssen sich an diese Situation erst anpassen. Österreich ging als 1:4-Außenseiter in die Partie, wie weltfussball.at dem Teamchef nach dem Spiel mitteilte. "Das stört mich eigentlich nicht, aber nach dem Spiel werden die sich das sicher anders überlegen", sagte Koller mit einem Lächeln im Gesicht.

Wichtiger als die Frage nach Wettquoten war freilich die Fragen nach den beiden unterschiedlichen Halbzeiten der ÖFB-Elf. "Wir haben eine sehr gute erste Halbzeit abgeliefert, konnten die Russen neutralisieren. Durch zwei Eigenfehler mussten wir lediglich zwei Konter hinnehmen", erklärte Koller, "In der zweiten Hälfte musste Russland mehr tun, wir hatten zuwenig Kraft. Schlussendlich war es aber ein verdienter Sieg, wir sind überglücklich."

Sein umstrittener Teamchef-Kollege Fabio Capello wird auch nach dem Spiel nach Meinung von Alexander Muyzhnek, der russische Sitznachbarn auf der Pressetribüne, im Sattel sitzen. Zu sehr hat die Spitze des russischen Fußballverbandes laut des Redakteurs der Online-Sportplattform sovsport.ru auf die Karte Capello gesetzt, um den exzentrischen Italiener während der laufenden Qualifikation zu entlassen. Solange die Sbornaja rechnerisch eine Chance hat, und für die Playoffs reicht der dritte Gruppenplatz, wird Capello weiter russischer Teamchef bleiben.

Mit drei Punkten fahren wir heim! :)

Posted by Marcel Koller on Sonntag, 14. Juni 2015

Scheißegal wie der Treffer fällt

Die obligatorische Frage nach seinem Rücktritt wies Capello bei der Pressekonferenz nach der Partie mit einem "Vielen Dank für diese Frage" zurück. Zuvor lobte der Italiener das starke Pressing seines Gegners. "In der ersten Halbzeit standen wir unter Druck, Österreich war physisch stärker", analysierte Capello. "Sie sind nicht zu Unrecht Tabellenführer", streute Capello dem rotweißroten Team Rosen, um danach eine heftige Kritik an seine Spieler und der russischen Liga abzulassen. "Leider sind es russische Spieler nicht gewöhnt, dieses Tempo zu spielen. Auf europäischem Niveau geht es aber so nicht", schimpfte der Italiener.

Koller blieb seiner nüchternen Art hingegen treu. Die acht Punkte auf Russland kommentierte der Schweizer trocken: "Damit haben wir den Vorsprung auf den Gruppenfavoriten ausgebaut." Rechenspiele bleiben selbst jetzt tabu: "Ich rechne nicht, ich zähle nur die Punkte zusammen." Auch den Fallrückzieher von Marc Janko sah Koller pragmatisch: "Es ist mir – Entschuldigung – scheißegal, wie der Ball über die Linie rollt, Hauptsache er ist drin."

Für die Teamkicker geht es direkt in die wohlverdienten Sommerferien. Manche flogen sogar nicht einmal nach Wien zurück. Behält die ÖFB-Equipe weiterhin Kurs und Glaube bei, ist das Ziel nicht nur nahe, sondern auch schnell mit dem Länderspieldoppel im September mit dem Heimspiel gegen Moldau (5. September) und Schweden (8. September) praktisch erreicht. Der Glaube, den Kapitän Fuchs beschwor, versetzt Berge heißt es. Doch Berge muss das ÖFB-Team um nach Frankreich zu kommen, nicht mehr überwinden.

Mehr dazu:
>> Fallrückzieher ins Glück - ÖFB fast durch
>> Ergebnisse und Tabelle Gruppe G

Clemens Schotola, weltfussball.at aus Moskau

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