14.07.2015 10:23 Uhr

Russland: Viel Arbeit vor der Heim-WM

Das riesige Luschniki-Stadion in Moskau wird runderneuert
Das riesige Luschniki-Stadion in Moskau wird runderneuert

Im Rücken von Wladimir Iljitsch Uljanow läuft eine Operation an Russlands offenem Fußball-Herz. Hinter der überlebensgroßen Lenin-Statue in einer Flussbiegung der Moskva wird das riesige Luschniki-Stadion für die WM 2018 runderneuert.

Die Kräne und Bagger sind postiert, wo in genau drei Jahren, am 15. Juli 2018, Deutschland seinen WM-Titel verteidigen will. Riesige Stahlträger liegen quer über dem künftigen Spielfeld. Die alten Tribünen wirken förmlich hinfortgesprengt.

Die mit mittlerweile mehr als 660 Millionen Euro veranschlagte Sanierung des Eröffnungs- und Finalstadions in Moskau ist das Prestigeobjekt für die in Westeuropa massiv umstrittene WM im Reich von Präsident Wladimir Putin. Wer die russische Fußball-Seele in Zeiten des FIFA-Korruptionsskandals und der Ukraine-Krise verstehen will, muss aber den Weg in die Provinz antreten.

Russen fiebern WM entgegen

Von Stolz und Pathos getragen, wird in den elf Spielorten dem Turnier schon jetzt entgegengefiebert - viel mehr als zum gleichen Zeitpunkt vor den Weltmeisterschaften in den historisch großen Fußball-Ländern Deutschland 2006 und Brasilien 2014 oder in Südafrika 2010. "35 Millionen Russen würden schon jetzt gerne ein Ticket kaufen", behauptet der Bürgermeister von Sotschi, Anatoli Pachomow. Die WM bewirke einen "Durchbruch für die Mentalität und die Herzen der Menschen", meint das Oberhaupt der Olympia-Stadt von 2014.

Andere Lokalpolitiker hoffen auf profan wirkende WM-Effekte. "Ich will nie wieder, dass man mich im Ausland fragt: "Wo liegt überhaupt Nischni Nowgorod?"", sagt Waleri Schanzew. Der Gouverneur der Region mit 3,3 Millionen Einwohnern, gut 400 Kilometer östlich von Moskau, artikuliert damit die Hoffnung vieler Menschen jenseits der Metropolen Moskau und St. Petersburg, die auch bei der WM vom 14. Juni bis 15. Juli 2018 die Zentren sein werden.

Stadien werfen Fragen auf

Riesengroß prangt ein WM-Logo an der historischen Stadtmauer in Nischni Nowgorod. Vom Stadion ist aber noch nicht viel zu sehen. Unweit der Wolga ragen bislang nur ein paar Betonsäulen aus dem Boden. Im Basketball schaffte es der örtliche Klub auf europäisches Spitzenniveau. "Wir haben gegen Real Madrid gespielt, das wünsche ich mir auch eines Tages im Fußball", sagt der Stellvertreter von Schanzew, Dmitri Swatkowski, ein kerniger Typ, optisch vom Schlage Putins, nur mindestens einen Kopf größer als der Herrscher im Kreml.

Auf einen Besuch von Cristiano Ronaldo mit den Königlichen müssen sie aber wohl noch lange warten in Nischni Nowgorod. Der lokale Verein FC Wolga spielt nur in Liga 2. Die Frage, wie nach 2018 die rund 45.000 Zuschauer fassende Arena gefüllt werden soll, wird mit einer guten Portion Optimismus umschifft.

"Vor Freude geweint"

Da hat es Wladimir Leonow leichter. Der Minister für Jugend und Sport der Republik Tatarstan kann mit der Sportstadt Kasan förmlich protzen. Champions League haben sie gespielt, mit ihrem FK Rubin gegen den FC Barcelona und in der kommenden Woche startet die Schwimm-WM, bei der die Athleten in der zum Mammut-Becken umfunktionierten Fußball-Arena antreten werden. Wenn die WM-Organisatoren am 24. Juli, einen Tag vor der Auslosung der Qualifikationsgruppen, den Spielplan absegnen, rechnet man in Kasan fest mit dem Zuschlag für ein Viertelfinale.

"Ich habe vor Freude geweint, als wir zum Gastgeber für 2018 ernannt wurden", berichtet der smarte Politiker Leonow. Dem 38-Jährigen werden Ambitionen zur Nachfolge von Sportminister Witali Mutko nachgesagt. Seine Präsentation hält er in fehlerfreiem Englisch. Nur bei den Fragen nach den Kritikpunkten aus der alten Fußball-Welt, den Korruptions- und Rassismusvorwürfen, muss er sich richtig zusammenreißen. "Das ist nicht meine Kompetenz, dies zu beantworten. Schauen Sie sich um. Wir können morgen mit der WM beginnen."

Budgetkürzungen behindern die Vorbereitung

So rosig ist die Lage nicht überall im Land: Die gerade von der eigenen Regierung verordneten Budgetkürzungen von rund 30 Milliarden Rubel (knapp 500 Millionen Euro) behindern die Vorbereitungen. Der WM-Haushalt liegt noch bei rund 631,5 Milliarden Rubel (etwa 10,2 Milliarden Euro). Experten rechnen mit deutlich höheren Kosten.

Der WM-Zuschlag wie die Sotschi-Winterspiele haben dem russischen Selbstbewusstsein Auftrieb gegeben. Ein WM-Entzug würde gekränkte Seelen hinterlassen. "Sie sollten gegen ihre Erkältung ein warmes Bier trinken", antwortet Sergej Tuzin, stellvertretender Bürgermeister von Jekaterinburg, mit einem ordentlichen Schuss Ironie einem heiseren englischen Reporter auf dessen kritische Frage.

Kein Publikum in Sibirien

Ganz weit im Osten, schon im Ural, putzt sich die Stadt Jekaterinburg heraus und baut ein WM-Stadion mit historisch geschützter Säulenumrandung. Dem Vorwurf der fehlenden Nachhaltigkeit wird vorsorglich begegnet. Die Central Arena wird nach der WM von einem ohnehin schon rekordverdächtig niedrigen Fassungsvermögen von 35.000 Zuschauern auf 23.000 reduziert - mehr Menschen gehen in West-Sibirien nicht zum Fußball.

Die zu Zeiten von Zar Peter I. im 18. Jahrhundert gegründete Stadt, in der der letzte Herrscher der Romanows, Zar Nikolaus II., mit seiner Familie 1918 umgebracht wurde, ist Symbol für eine in Russland nicht nur hinter vorgehaltener Hand kritisierte Auswahl der WM-Spielorte. Historisch und touristisch - wie auch Kaliningrad, das ehemalige Königsberg - zweifelsfrei interessant, gibt es fußballspezifisch doch klare Nachteile gegenüber einer Stadt wie Krasnodar, die trotz zweier Erstligisten das Nachsehen hatte. Putin war - so der Vorwurf - eher an prestigeträchtigen Orten gelegen.

Immerhin kann Ural Jekaterinburg in der beginnenden Saison wieder in der Premier Liga mitspielen. Neben Nischni Nowgorod und Kaliningrad stellen auch Sotschi und Wolgograd, das ehemalige Stalingrad, und damit derzeit mehr als ein Drittel der WM-Spielorte, keinen Erstligisten. Vetternwirtschaft und Hinterzimmerpolitik, so spricht man mehr oder weniger leise aus, haben bei dem Zuschlag eine Rolle gespielt.

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dpa

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