06.06.2016 14:06 Uhr

Die Austria stellt sich ihrer Vergangenheit

Austria- und Wunderteam-Legende Matthias Sindelar ist der personifizierte Beweis für die Notwendigkeit einer historischen Studie
Austria- und Wunderteam-Legende Matthias Sindelar ist der personifizierte Beweis für die Notwendigkeit einer historischen Studie

Die Wiener Austria hat am Montag den Start eines Forschungsprojekts über die Rolle des Klubs in der NS-Zeit verkündet. Dabei sollen altbekannte Mythen und Legenden auf Stichhaltigkeit überprüft und auch unangenehme Aspekte beleuchtet werden.

Während im Arbeiterbezirk Favoriten die Bagger für den großen Umbau ins Stadion rollen, lud die Austria ins Caféhaus in der Innenstadt. Für den einst lange heimatlosen "Cityklub" gibt es wohl keine passendere Örtlichkeit, um bekannt zu geben, den Blick in die eigene Vergangenheit richten zu wollen.

"Der FK Austria Wien in den Jahren des Nationalsozialismus (1938 - 1945)", so lautet der Titel des vom Klub in Zusammenarbeit mit dem Zukunftsfonds, Nationalfonds, Stadt Wien und Sportministerium mit 63.000 Euro budgetierten wissenschaftlichen Projekts, bei dem Österreichs führende Sporthistoriker eine bisher weniger beachtete Epoche der 105-jährigen Klubgeschichte der Veilchen untersuchen werden.

Besser spät als nie

Anlassfälle hätte es seit Anfang der 2000er Jahre mit als Vorbilder genannten Projekten in Deutschland (Dortmund, Schalke), oder der rund um Matthias Sindelars hundertsten Geburtstag hitzig geführten Debatte über dessen Rolle bei der Arisierung eines Caféhauses, der Eröffnung des Klubmuseums sowie einem sich seit Jahren hartnäckig haltenden Problem mit Neonazis innerhalb der eigenen Fanszene genügend gegeben. Warum also erst jetzt, wenn sogar der Wiener Erzrivale Rapid, Deutscher Meister 1941, diesen Weg bereits vor fünf Jahren beschritten hat?

"Für mich ist es wichtiger zu sagen, 'Jetzt passiert es’", so die Antwort von Austria-Vorstand Markus Kraetschmer, der zugleich auf Teilprojekte wie das 2014 erschienene Buch über das Leben des im Jahr darauf verstorbenen ehemaligen Klubsekretärs Norbert Lopper verwies. Verfasst wurde die Biografie des Auschwitz-Überlebenden von Johann Skocek. Sie bildet quasi die Keimzelle des aktuellen Projekts, zumal der frühere Sportjournalist auch hier die Gesamtleitung innehat. 

"Bei der verzögerten Aufarbeitung in Österreich im Vergleich zu Deutschland wurde aufgeholt. Es ist einiges in Bewegung gekommen", erklärte der Sportwissenschafter Rudolf Müllner. Gemeinsam mit seinen Kollegen Matthias Marschik und Bernhard Hachleitner wird er in den nächsten 15 Monaten in Archiven Quellen sichten und mit Zeitzeugen sprechen.

Skocek kündigte an, "viele Legenden und Geschichten auf Stichhaltigkeit prüfen" zu wollen. Fakten und Daten bilden für Marschik allerdings erst die "Basis, die Fußballkultur der Austria in einen Kontext zu stellen." Dabei gehe es beispielsweise "weniger darum, zum hundertsten Mal über die Todesursache von Sindelar zu spekulieren", sondern die Frage zu stellen, "was dieser Tod bedeutet hat." Immerhin wurde das Aushängeschild des österreichischen Wunderteams sowohl vom NS-Regime als auch von dessen Gegnern vereinnahmt.

Fußball und Austria nur ein Opfer?

"Instrumentalisierung greift zu kurz", wies Müllner hin, genauso werde der Sport durch "den Nimbus des Apolitischen" gerne verniedlicht. Persönliche Verantwortlichkeiten würden zu gerne ausgeklammert, letztlich stünden aber gerade die Handlungsspielräume der Protagonisten im Mittelpunkt. 

Der Blick in die Vergangenheit soll freilich auch Antworten für die Gegenwart und Zukunft liefern. Sport im Allgemeinen und die Austria im Speziellen tragen vielleicht dazu bei, jüngere Generationen vorzugsweise auch auf der violetten Fantribüne zu erreichen. "Man kann mit solchen Projekten wachrütteln", war Kraetschmer überzeugt, wenngleich er sich nicht sicher sei, dass auch "die Radikalsten erreicht" würden. "Ich mache mir keine Illusionen, dass wir sie in ihrem Denken verändern werden", so der Austria-Vorstand.

Nicht nur der angeblich unwissenden Jugend wird die Aufarbeitung guttun, wie ein unbedachter Sager von Kultur- und Sport-Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny passend illustrierte: "Die Austria ist jetzt nicht die Erste, wenn man über das Thema Verantwortung im Nationalsozialismus nachdenkt. Sie war offensichtlich zu einem großen Teil Opfer."

Ohne für den Politiker das Ergebnis spoilern zu wollen, gerade im Fall der Austria verspricht die Ausgangslage ein vielschichtiges und differenziertes Forschungsergebnis: Die zwangsweise Umbenennung in SC Ostmark; Großteils jüdische Funktionäre, die 1938 zur Emigration gezwungen waren und vom 1946 zum Tode verurteilten Ernst Kaltenbrunner (Hachleitner: "Nicht irgendwer, sondern in der Liste der NS-Verbecher sehr weit oben") als Ehrenpräsidenten abgelöst wurden; Renommierte Spieler, die nicht nur von Arisierungen profitierten (Sesta, Sindelar) sondern gar illegal dem NS-Schlägertrupp SA angehörten (Mock) und andere, die trotz entsprechender Angebote auf eine Karriere innerhalb des NS-Systems verzichteten (Nausch).

Das alles ist Teil einer mitunter widersprüchlichen Klubgeschichte, der sich die Austria nun stellen möchte.

Mehr dazu:
>> Archiv: Grün-weiße Vergangenheitsbewältigung im Hanappi-Stadion 

Sebastian Kelterer

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