14.08.2016 20:00 Uhr

Kehraus am St. Pöltner Voithplatz

Goodbye Voithplatz! Die Wolfbrigade verabschiedete sich auf ihre (spiegelverkehrte) Art und Weise
Goodbye Voithplatz! Die Wolfbrigade verabschiedete sich auf ihre (spiegelverkehrte) Art und Weise

Bis Ende August muss der SKN St. Pölten das Voithplatz-Areal räumen. Eine 65-jährige Fußballgeschichte geht zu Ende. Auf der legendären Sportstätte sollen Wohnungen entstehen.

Weltstars wie Mario Kempes (1987-1990), Antonin Panenka (1985-1987) oder Lajos Détári (1996-1998) hatten hier ihren Arbeitsplatz. Heimische Größen wie Ivica Vastić (1992-1993), Leopold "Poldi" Rotter (1987-1998), Frenkie Schinkels (1990-1992 und 1993/1994), "Turbo" Rudi Steinbauer (1988-1993) oder VSE-Rekordspieler Hans-Peter Frühwirth (1987-1998, 176 Bundesligaspiele für die Wölfe) schnürten am Voithplatz ihre Schuhe.

Viele interessante Persönlichkeiten machten am "Stadion" am Spratzerner Kirchenweg Station. Wie zum Beispiel Alfred Tatar (1987/88), der mit halbseitigem Vollbart und schwarz lackierten Fingernägeln auflief. Oder Brasilo-Edeltechniker Bruno Ferretti, der zuvor für Flamengo und danach für die Dallas Sidekicks in der nordamerikanischen Major Indoor Soccer League (MILS) brillierte.

Oder Gärtner Thomas Nentwich, der sowohl für den VSE, den FCN (1994-1999), als auch für den SKN St. Pölten (2005-2009) seine Knochen hinhielt. Oder Goalie Oleh Suslov (1999 und 2003-2005), der bevor ihn Austria Salzburg nach Österreich geholte hatte (1997) im ukrainischen Nationalteam mit Andriy Shevchenko auflief und danach Tormanntrainer in der St. Pöltner Akademie wurde.

Der nackte Oleh, der tote Zuschauer und Paul Breitner

Suslov wäre für den FCN St. Pölten einmal sogar fast nackt aufgelaufen. Nach einer in einem Zweikampf erlittenen Gehirnerschütterung wurde er duschen geschickt, kehrte benommen mit Badetuch durch den Spielertunnel wieder zurück und wollte weitermachen. Andras Hodi wiederum bekam vom legendären Platzsprecher Fritz Dibidanzl versehentlich ein Tor zugesprochen, als er im Publikum weilte. Der St. Pöltner Stadtrat Hans Kocevar erfuhr ebendort sogar von seinem Ableben und zog bei der Trauerminute jede Menge Blicke auf sich.

Paul Breitner wähnte sich bei seinem Debüt als Vienna-Berater auf dem Voith Platz (März 1998) wohl auch im falschen Film, als er im Schneetreiben den Tabellenführer aus Döbling vor 1.000 Besuchern 0:2 verlieren sah. Nachher meinte er: "Hier rennen ja neun Pärchen auf dem Feld." Und stellte fest, dass Vienna "arroganter werden muss".

Unvergessen in Presse-Kreisen auch als ein ehemaliger Kurier-Redakteur im wahrsten Sinne des Wortes seinen "Durchbruch" feierte und im Pressekammerl im morschen Holz versank.

"Wie bei den Affen"

Vorbei die Zeiten als noch hemdsärmelige Macher aus der Wirtschaft den Verein führten. Präsident Helmut Meder legte beim Graben des Tunnels selbst Hand an und argumentierte den Verzicht auf Gitter so: "Einen Zaun so nahe bei der Tribüne wollte ich nicht. Das wäre ja wie bei den Affen." Bei der Spatenstich-Eröffnungsfeier für die NV Arena wurden die Schaufeln (März 2011) dann von Spielern, die mit diversen Logos body-gepaintet waren, mit zwei Helicoptern gebracht und an politische Honorigkeiten und Sponsorenvertreter überreicht.

Vorbei die Zeiten als die Sicherheitsbestimmungen noch Fußnoten waren und der VIP-Platz-Einweiser Wolfgang (Spitzame "Öli") sich dem Landeshauptmann Erwin Pröll mit den Worten vorstellte: "Grüß' Ihnen. Da heroben bin ich der Chef. Wenn sie etwas brauchen, sagen sie es mir."

Vorbei die Zeiten als Rapid-Trainer Hans Krankl nach einer 0:1-Niederlage (November 1990) durchs Kabinenfenster vor den Journalisten flüchtete.

Vom Flash blieben die Wimpel

Vorbei die Zeiten als auf dem Spielerparkplatz ein Ferrari stand. Der gehörte Lajos Détári und wurde an Spieltagen von József Ördög aus Budapest herpilotiert, damit Détári beim Spiel nicht zu müde war. Ördög war es dann offenbar schon. Denn der ungarische Stürmer konnte sich hier überhaupt nicht durchsetzen.

Vorbei die Zeiten als FCN-Präsident Franz Hein von einem Investor aus Amerika träumte, das "Milliardenprojekt Flash St. Pölten" ankündigte (in Schilling), ein mehrseitiges "Special" in der NÖN erschien, bis Hein Wochen später im Wiener Hilton Hotel im Teddybär-Strickpulli feststellte: "Ihr werdet es eh schon migekriegt haben. Es wird nix." Flash-St. Pölten-Wimpel waren immerhin schon produziert worden.
>> 15 Jahre kein Disneyland in St. Pölten

Vorbei die Zeiten als Scharen von Fans zu einem "aufgeschütteten Steinhaufen" (© Alfred Tatar) pilgerten, um den Wölfen auf die Beine zu sehen. Über 7.000 besuchten in der Saison 1988/89 durchschnittlich die Heimspiele von VSE St. Pölten. Nur Wacker Innsbruck hatte damals einen noch größeren Anhang. Rapid und Austria wurden vom Bundesliga-Aufsteiger meilenweit distanziert. (Das Bild oben ist vom Cup-Viertelfinale gegen Austria, in dem St. Pölten im strömenden Regen vor 4.500 Zuschauern 0:6 unterlag).
>> Zuschauerbilanz Bundesliga 1988/89

Kempes ganz nah und doch weit weg

Eingeleitet wurde die Ära des VSE St. Pölten mit einem Intertoto-Spiel von Admira Wacker auf dem Voithplatz im Juli 1982. 3.500 Zuschauer bei der Partie gegen IFK Norkjöpping (2:0) lösten bei Meder und Co. einen Aha-Effekt aus. Davor hatten diverse Betriessportvereine von Voith dort gekickt.

Das letzte Spiel des SKN St. Pölten am Voithplatz fand im Mai 2012 statt, als die Truppe von Trainer Martin Scherb gegen Austria Lustenau vor 3.650 Besuchern 3:1 gewann. Das Spiel der Ersten Liga hatte auch deswegen soviele Leute angelockt, weil vorher ein prominent besetztes Legendenspiel stattfand, das Privatpersonen organisiert hatten.

Jene bekamen vom SKN lediglich die Anweisung, Mario Kempes nicht einzuladen, damit jener dann bei der Eröffnung der NV Arena präsentiert werden könne. Dort war der Weltmeister und WM-Torschützenkönig von 1978 bis heute nicht. Beim Legendenspiel wäre es hingegen ein Leichtes gewesen "El Matador" zu bekommen, da er damals in München weilte, wegen des Finales der Champions League der Bayern gegen Chelsea, das einen Tag später stattfand.

Frauen und Segelflieger wurden länger geduldet

Das letzte Pflichtspiel am Voithplatz bestritt der FSK St. Pölten-Spratzern gegen SKV Altenmarkt vor 250 Zuschauern am 11. Juni 2016. Mittlerweile trägt Österreichs Frauenmeister seine Partien als "SKN St. Pölten Frauen" im Sportzentrum NÖ neben der NV Arena aus.

Während König Fußball am Voithplatz also das Weite suchen musste, halten dort die Kegler, Segler, Tennisspieler oder auch die Sektion Fotografie der Voith nach wie vor die Stellung. Sie müssen erst in den nächsten zwei Jahren umziehen. In dem Raum, in denen die VSE-Stars nach den Spielen gemeinsam speisten, stehen derzeit noch Segelflieger bis die Bagger kommen.

Die Chance einer Abriss-Party ähnlich jener von Rapid im Hanappi Stadion ist längst vertan.

Mehr dazu:
>> Bildergalerie Voithplatz im Endstadium

Thomas Schöpf

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