11.09.2016 16:10 Uhr

5:1 für Celtic, 1:0 für den Scoxit

Paradise EU? Viele Schotten wollen die Unabhängigkeit und den Anschluss an die Europäische Union
Paradise EU? Viele Schotten wollen die Unabhängigkeit und den Anschluss an die Europäische Union

Nach vier Jahren Liga-Zwangspause ist das berühmteste Fußball-Derby der Welt wieder von den Toten auferstanden. Celtic gewann das erste Old Firm seit dem Wiederaufstieg der Rangers erwartungsgemäß mit 5:1.

Einmal mehr war das Glasgow-Derby viel mehr als nur ein Fußballspiel. Das Old Firm ist Realpolitik. Katholiken gegen Protestanten, Anhänger der schottischen Unabhängigkeit gegen kronloyale Briten, Working Class gegen Bürgertum. In der Causa Brexit könnten die beiden verfeindeten Lager nun aber vereint sein. weltfussball hat mit Hilfe von eurotours vor Ort nachgeforscht.

Das Spiel selbst war die erwartet klare Angelegenheit. Meister Celtic gewann daheim mit 5:1 und zeigte dem gerade erst aufgestiegenen Erzrivalen, wer der Platzhirsch ist. Neuzugang Moussa Dembélé schoss sich mit einem Hattrick in die Herzen der Fans. Nur kurz, als Joe Garner den Anschlusstreffer für die Gers kurz vor der Pause erzielte, keimte Hoffnung für die Blauen auf.

"Für die Rangers-Fans war es wahrscheinlich im Vorfeld ein wichtigeres Spiel, als für die Celtic-Fans, die sich eher auf die Champions League konzentrieren. Manche von ihnen wollen wohl auch denken, dass die Rangers nicht mehr ein wirklicher Gegner sind. Sie würden es nicht zugeben, dass sie eigentlich froh sind, dass der Stadtrivale wieder da ist", meinte der schottische Fußball-Journalist Alex O'Henley im Gespräch mit weltfussball.

Viel ist passiert

Vor vier Jahren mussten die Rangers aufgrund ihrer Insolvenz den Zwangsabstieg antreten. Auf dem mühsamen Weg zurück traten die beiden Erzrivalen zwar zwei Mal in Pokalbewerben gegeneinander an, jetzt war es aber endlich wieder im Premiership so weit. Viel ist passiert in der Zwischenzeit.

"Bis Weihnachten 2017 sind wir unabhängig, das schwöre ich Dir", erklärte Dean Halliday, ein etwas verschroben wirkender Independence-Aktivist, der gerade den Inhalt seiner Wohnwagen-Toilette in den Kanal goss, als sich der Schreiber dieser Zeilen ein paar Tage vor dem Spiel vorstellte.

Aus Protest campiert Halliday so lange vor dem schottischen Parlament, bis sein Ziel erreicht ist. Neun Monate hält er bereits durch. Nicht zur Freude aller. "Get a job", brüllte ihm ein vorbeifahrender Autofahrer entgegen. "Ich hab' einen Job, ich kämpfe auch für dich", murmelte Halliday. "Das ist jetzt anders als die üblichen Auseinandersetzungen innerhalb Schottlands in der Vergangenheit. Nach dem Brexit-Referendum hat jetzt nichts mehr mit Religion oder so Zeugs zu tun, das vereint die Leute", so Halliday.

Noch vor gar nicht langer Zeit war das noch nicht der Fall. Katholiken waren immer tendenziell für die Abspaltung. Die Bhoys, so werden die Celtic-Anhänger genannt, waren sich in ihren Ansichten einig. "Die Fans sympathisieren beispielsweise auch mit Palästinensern, Katalanen oder Basken. Sie sehen in den politisch Unterdrückten eine Seelenverwandschaft", erklärte O'Henley. Jetzt kommen aber auch immer mehr Protestanten auf den Geschmack der Unabhängigkeit.

Kein Kindergeburtstag

"Beim Unabhängigkeits-Referendum im September 2014 haben die Schotten noch mit 55 Prozent für einen Verbleib gestimmt", erklärte Professor Raymond Boyle von der University of Glagow. Die Katholiken stimmten mit 42,3 Prozent dafür, Protestanten mit 60,1 Prozent. Der Schluss liegt nahe, dass es also vor knapp zwei Jahren noch große Unterschiede zwischen vermeintlichen Celtic- und Rangers-Fans gab.

"Ironischerweise waren sich die Lager beim EU-Referendum eher einig. 62 Prozent haben für 'Remain' gestimmt. Statistisch gesehen haben eine Mehrheit von sowohl Celtic-, als auch Rangers-Fans für einen Verbleib gestimmt", so Boyle.

Die einzige Gemeinsamkeit zwischen den Bhoys und Teddy Bears (Rangers Anhänger)? Oder sind sie sich mittlerweile ähnlicher als sie zugeben wollen? "Bezüglich sozialer Klasse oder Einkommensschicht gibt es kaum mehr Unterschiede. Es gibt ja nicht mehr diese Job-Diskriminierung mehr wie vor 40 Jahren. Katholiken sind ja mittlerweile auch sehr robust in der Mittelschicht vertreten. Es ist also heute mehr ein kultureller Unterschied, als ein Unterschied zwischen Klassen oder auch Religionszugehörigkeit", so Boyle.

Ein Kindergeburtstag ist das Derby aber deswegen noch lange nicht. "Manche Politiker sind wohl nicht wirklich froh darüber, dass es das Old Firm wieder gibt", ergänzte der Kommunikationswissenschaftler, der auch der UEFA beratend zur Seite steht.

"People make Glasgow" heißt der Slogan der größten Kommune Schottlands. Überall in der Innenstadt ist der Schriftzug zu sehen. Fast nirgends im Zentrum hingegen bekam man etwas vom Old Firm mit. Es schien, als wolle die hippe, urbane Innenstadt nichts mit dem rauen, vulgären Fußballspiel zu tun haben.

In Bars und Pubs kam man etwa nicht hinein, wenn man sichtbar irgendetwas mit dem Spiel zu tun hatte. Ein paar Kilometer außerhalb, beim "Barras Market", eine der Hochburgen der Bhoys, hatte man nur mit einem Stammgast-Ticket in eines der Pubs Zutritt. Wohl um ungebetene Gäste des anderen Lagers draußen zu halten. Freundschaft herrscht also keinesfalls zwischen den Fraktionen.

Abspaltung à la carte

"Auch wenn es visuell scheinbar so leicht zu kategorisieren ist, ist die Fragmentierung innerhalb der Fanlager stark. Vielleicht mag es den Schein erwecken, dass 50.000 Rangers-Fans, die den Union Jack tragen, sich zum Vereinten Königreich bekennen. Genauso auf der anderen Seite, wenn 50.000 Celtic-Fans die irische Flagge tragen. Diese Rückschlüsse sind aber nicht korrekt, denn alles ist mittlerweile viel komplizierter. Manche präsentieren diese Symbolik nur, um sich mit dem Klub zu identifizieren. Wenn sie aber in andere Bereiche ihres Lebens gehen, dann haben sie vielleicht andere Ansichten", erklärte er weiters.

Seit Jahren schon wollen die beiden Klubs raus aus dem schottischen Verband und rein in den englischen. Notfalls auch mit einem Einstieg in die nur fünfte Spielstufe des südlichen Nachbarns. Eigentlich widersprüchlich, denn einerseits will man die Abspaltung, andererseits die Annäherung.

Warum? "Wegen der Qualität des Fußballs. Und wegen dem Geld. Der Markt in Schottland ist limitiert. Es ist sehr schwer neben so einem reichen Nachbarn existieren zu können. Es ist leicht, Celtic als Unterstützer der Unabhängigkeit zu stereotypisieren. In der harten Realität wären sie aber liebend gerne Teil des englischen Liga-Systems", erklärte O'Henley. "Ich weiß, das ist ein komplexes Bild, aber so ist es nun einmal." Abspaltung à la carte nennt man das.

Mehr dazu:
>> Celtic fertigt die Rangers mit 5:1 ab

Johannes Sturm, weltfussball.at aus Glasgow

 

Dieser Artikel entstand im Zuge des eurotours Projekts

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