21.12.2017 08:21 Uhr

Streich exklusiv: "RB Leipzig ein Glücksfall"

Joachim Streich spricht über die positive Rolle von RB Leipzig für den Ost-Fußball
Joachim Streich spricht über die positive Rolle von RB Leipzig für den Ost-Fußball

DDR-Ikone Joachim Streich galt während seiner aktiven Laufbahn als einer der besten Stürmer Europas, gewann zahlreiche Titel und stellte viele Rekorde auf. Im exklusiven weltfussball-Interview spricht der 66-Jährige über seine beeindruckende Karriere, die deutschen Sturm-Hoffnungen für die WM 2018 und die Situation des Ost-Fußballs. Außerdem erklärt Streich, warum RB Leipzig gut für den Osten ist.

Herr Streich, Sie sind gerade mit ihrer Biografie "Der Torjäger" auf Tour und absolvieren Talkrunden im Osten Deutschlands. Wie reagieren die Menschen dort auf Sie als Idol des DDR-Fußballs?

Joachim Streich: Die Veranstaltungen sind sehr gut besucht. Das Publikum will sich mit mir unterhalten, stellt Fragen. Man sieht, dass unser Fußball von damals heute einen ganz anderen Stellenwert hat als früher. Die Leute wissen zu schätzen, was wir geleistet haben. Das freut mich und macht mich auch ein wenig stolz.

Sie haben sich unter anderem als Rekordtorschütze der DDR-Nationalmannschaft und der DDR-Oberliga in den Geschichtsbüchern verewigt. Wie sind Sie dem Fußball heute noch verbunden?

Ich bin bei den Heimspielen des 1. FC Magdeburg immer im Stadion. Ich interessiere mich aber auch generell immer noch sehr für den Fußball und verfolge das Geschehen intensiv.

Zu Ihrer aktiven Zeit waren sie eher klassischer Torjäger als Modellathlet. Mit welchem deutschen Top-Angreifer heute würden Sie sich vergleichen?

Da gibt es ehrlich gesagt niemanden. Der Fußball hat sich seit den siebziger und achtziger Jahren total verändert. Die taktische Ausrichtung ist eine ganz andere. Es gibt kaum noch Typen wie Klaus Fischer, Gerd Müller oder mich. Die heutigen Stürmer haben ganz andere Stärken.


Joachim Streich ist Rekord-Torschütze der DDR-Auswahl

Könnte ein Stürmer-Typ wie Joachim Streich in der heutigen Zeit noch so erfolgreich sein wie damals?

Die Art und Weise, wie wir früher gespielt haben, würde dem ein oder anderen Bundesligisten sehr guttun. Robert Lewandowski von Bayern München ist beispielsweise ein Stürmer, der im und um den Strafraum herum agiert und sich im Eins-gegen-Eins durchsetzen kann. Das haben wir früher auch gemacht. Nur mit schnellen Stürmern auf Konter spielen wird auf Dauer nicht den großen Erfolg bringen. Alle Mannschaften, die heute auch international erfolgreich sind, haben ein bis zwei Spielertypen wie mich in ihren Reihen.

Im nächsten Jahr steht die WM in Russland an. Auf welche Stürmer des DFB-Teams setzen Sie bei der Endrunde Ihre größten Hoffnungen?

Wir haben mit Timo Werner und Sandro Wagner zwei sehr unterschiedliche Stürmertypen. Bei der WM können wir dadurch je nach Spielverlauf reagieren. Wagner kann sich ganz vorne in die Bresche werfen, Werner aufgrund seiner Schnelligkeit bei Kontern für Tore sorgen.

Wie bewerten sie den bevorstehenden Wechsel von Wagner zum FC Bayern wenige Monate vor der WM?

Wagner ergreift die Chance, zu einem der Spitzenteams weltweit zu gehen. Er weiß aber, auch aufgrund seines Alters, dass er in München nur die Ergänzung zu Lewandowski ist. Denn der Pole ist einer der besten Stürmer der Welt.

Sie haben in ihrer eigenen Karriere nicht nur viele Tore erzielt, sondern auch einige Titel abgeräumt. Bei den Olympischen Spielen 1972 in München gewannen sie als ganz junger Bursche die Bronzemedaille mit der DDR-Auswahl. Der größte Erfolg Ihrer Karriere?

Olympia war ein Höhepunkt meiner Karriere, aber die WM-Teilnahme 1974 war noch ein Stück darüber anzusiedeln. Dort im Alter von nur 23 Jahren dabei zu sein und sich mit den stärksten Länderauswahlen der Welt zu messen, war schon das absolute Highlight meiner Laufbahn.

Apropos WM 1974: Im legendären Spiel gegen die BRD erzielten nicht Sie, sondern ihr Konkurrent Jürgen Sparwasser den historischen Siegtreffer. In einem Interview haben Sie einmal gesagt, dass sie froh sind, dieses Tor nicht gemacht zu haben.

Dazu gibt es eigentlich nichts weiter zu sagen. Ich habe 55 Tore in 102 Länderspielen erzielt. Wenn ich auf ein Tor reduziert würde, wäre mir das zu wenig.

Während ihrer Vereinslaufbahn spielten Sie für Hansa Rostock und den 1. FC Magdeburg. Beide Klubs sind aktuell drittklassig, in die Bundesliga schafft es seit Jahren kein Ost-Verein mehr. Warum ist das so?

Die Ost-Vereine haben nach der Wende versucht, im bezahlten Fußball Fuß zu fassen. Damals wurden viele Fehler gemacht. Viele Spieler, die in den alten Bundesländern gescheitert waren, wechselten in den Osten und sollten die Vereine hier nach vorne bringen. Darüber kann man heute nur mit dem Kopf schütteln.


Von 1975 bis 1985 spielte Joachim Streich für den 1. FC Magdeburg

Haben die Klubs aus diesen Fehlern gelernt?

Die Vereine haben mitbekommen, dass sie auf Spieler aus der Region bauen müssen. Sie gehen ihren eigenen Weg und gehen ihn kontinuierlich, Schritt für Schritt. Nur so kann sich der Erfolg einstellen. Klar ist aber auch, dass wir nicht von heute auf morgen mehrere Ost-Vereine in der Bundesliga haben werden.

Wie sehen sie die Situation bei "ihrem" 1. FC Magdeburg, der derzeit die Drittliga-Tabelle anführt?

Magdeburg wirtschaftet seit einigen Jahre solide. Man hat hier ein fußballaffines Umfeld, was auch die Zuschauerzahlen zeigen. Der Verein will erst einmal in der 3. Liga eine gute Rolle spielen. Das finden die Leute gut.

Sind Sie als Vereinsikone in Magdeburg noch involviert? Oder sind sie eher Beobachter?

Ich bin außen vor. Der Verein hat seit Jahren kein Interesse daran, dass ehemalige Aktive mitwirken. Ich fiebere mit, habe aber keinen intensiven Kontakt zum Verein mehr.

Das klingt ein wenig nach Kritik.

Das kann man so und so sehen. Die bekannten Ex-Spieler könnten bei den Fans für eine ganz andere Art der Euphorie sorgen. Im Stadion suchen ganz viele Zuschauer den Kontakt zu den Ehemaligen. Und wir dürfen nicht vergessen: Momentan schwimmt Magdeburg auf einer Euphoriewelle. Aber es wird auch wieder Zeiten geben, in denen es nicht so gut läuft. Dann könnte der ein oder andere von uns mit seiner Erfahrung helfen. Ich wage aber zu bezweifeln, dass sich dann noch jemand für den Verein einsetzen wird.

Das große Reizthema in Fußballdeutschland ist RB Leipzig. Wie stehen Sie zu dem sportlich höchst erfolgreichen Projekt, das von vielen nicht als "echter Ost-Verein" anerkannt wird?

Ich habe von Anfang an gesagt: RB Leipzig ist ein Glücksfall für den Osten. Leipzig ist eine fußballbegeisterte Region. Lok und Chemie Leipzig haben es nicht geschafft, dort etwas auf die Beine zu stellen. Die Leipziger wollen guten Fußball sehen. Ich bin ein Befürworter des Engagements von Herrn Mateschitz (Red-Bull-Chef, Anm.d.Red.).

Gräbt RB durch das Abwerben von Talenten nicht auch den anderen Ost-Klubs ein Stück weit das Wasser ab?

RB hat ein klares System und biete den Jugendlichen die Chance, sich zu entwickeln. Der Verein spielt international, hat eine riesige Zugkraft. Es ist doch hier nicht anders als in München. Da gibt es Bayern München. Wo ist den 1860, wo ist Unterhaching? Die werden eben Zulieferer für den großen Verein. Der sportlich Stärkere setzt sich durch. Das ist ein ganz normaler Weg.

Das Interview führte Tobias Knoop

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