22.12.2017 08:51 Uhr

Liendl: "Es geht immer noch schlimmer"

Michael Liendl will mit Twente raus aus dem Abstiegssumpf
Michael Liendl will mit Twente raus aus dem Abstiegssumpf

Michael Liendl steckt nach seinem Weggang von 1860 München auch mit Twente im Abstiegskampf. Mit weltfussball spricht der Grazer über Perspektivenwechsel, Sprachbarrieren und seine neue Position.

Besinnliche Stimmung konnte für Michael Liendl in der Vorweihnachtszeit nicht so richtig aufkommen. Der Niederlande-Legionär blickt auf zwei schwierige Jahre zurück und muss mit Twente Enschede am 23. Dezember noch einmal Schadensbegrenzung betreiben. Nach elf Niederlagen in 17 Spielen kämpft der Traditionsverein in der Eredivisie gegen den Abstieg, da beruhigte auch der Sieg im Cupachtelfinale gegen Ajax Amsterdam im Elfmeterschießen nur kurz.

Am Samstag (20:45 Uhr) gastiert Twente bei Excelsior in Rotterdam, der Vorsprung der Roten auf den ersten Relegationsplatz beträgt nur einen Punkt, Tabellenschlusslicht Sparta Rotterdam hat nur drei Zähler weniger.

Für Liendl brachte sein erstes Halbjahr in einem nicht-deutschsprachigen Land ein Déjà-vu-Erlebnis. Vergangene Saison war er in der 2. deutschen Bundesliga mit Chaosklub 1860 München in den Abstiegsstrudel geraten, aus dem es schließlich kein Entrinnen gab, nun droht Twente ein ähnliches Schicksal. "Ich habe in den letzten zwei Jahren sehr viel mitgemacht", blickt der Mittelfeldregisseur im Interview mit weltfussball zurück. Aus der Ruhe bringt ihn die aktuelle Situation nicht mehr.

weltfussball: Am Abend des 23. Dezembers ein Ligaspiel, noch dazu, wo man im Abstiegskampf steckt - die Weihnachtsstimmung muss noch warten.

Michael Liendl: Dieses Jahr ist es zu Weihnachten wirklich knapp, aber wir hätten es noch schlimmer erwischen können. Die halbe Liga spielt noch am 24., also bin ich froh, dass wir den Termin am 23. bekommen haben. Wir werden Weihnachten aber auch hier feiern, weil wir am 24. nicht in der Gegend herumfliegen und einen halben Tag unterwegs sein möchten. Am 25. fliegen wir dann nach Graz.

Elf Niederlagen in 17 Spielen ist für einen Klub wie Twente desaströs. Was ist im Herbst alles schiefgelaufen?

Es ist definitiv vieles schiefgelaufen, sonst hätten wir nicht so viele Niederlagen. Ich selbst bin etwas später zum Verein gekommen und erst in der vierten Runde so richtig eingestiegen. Nach ein paar Spielen war der Trainer plötzlich weg und man musste sich wieder neu finden. Der Verein ist allgemein im Umbruch, nach allem, was während der letzten Jahre passiert ist, als man den Klub praktisch fast zusperren musste. Das alles nagt noch ein bisschen, aber ich hoffe, dass es in der Zukunft wieder besser läuft.

Wenn ein großer Klub in die Krise gerät und unten feststeckt, besteht oft die Gefahr, dass der Abstiegskampf zu spät angenommen wird. Ist sich die Mannschaft der Ernsthaftigkeit der Situation bewusst?

Momentan ist es irgendwie teils teils. Klar ist jedem bewusst, worum es geht und in welcher Situation man steckt. Auf der anderen Seite sagt man sich: Natürlich haben wir die Qualität, um in der Liga zu bleiben und bessere Resultate zu liefern. Es ist eine schwierige Situation. Letzte Saison habe ich bei 1860 erlebt, wie man sich zu spät hundertprozentig auf den Abstiegskampf eingestellt hat und dachte: Das wird schon irgendwie. Mit Twente müssen wir im neuen Jahr durchstarten.

Als du vergangenen Sommer 1860 München in Richtung Enschede verlassen hast, dann wohl nicht mit dem Gedanken, mit Twente wieder gegen den Abstieg zu spielen. Nimmt der Spaß am Kicken so nicht irgendwann ab?

Klar ist es nicht schön, gegen den Abstieg zu spielen. Aber ich habe auch schon das Gegenteil erlebt, dass man mehr Matches gewinnt als verliert. Ich kenne beides und das gehört auch zu einem Fußballerleben dazu. Das macht einen stärker und reifer, damit muss man umgehen können.

Wie analysierst du persönlich deinen Herbst? Du warst lange Stammspieler, Tor ist dir in der Liga aber noch keines gelungen, was wohl auch deiner neuen Position geschuldet ist?

Ganz am Anfang war ich, wie gesagt, nicht dabei, dann gab es eine Findungsphase. Und ich habe hier noch nie wirklich auf der Zehn, sondern auf der Sechs gespielt. Da bist du unterm Strich nicht so torgefährlich wie auf der Position, wo eigentlich meine Stärken liegen. Ich habe versucht, mich in den Dienst der Mannschaft zu stellen und die Aufgaben, die ich vom Trainer bekommen habe, umzusetzen. Tore zu erzielen, ist für mich auch nicht das Wichtigste, aber ich möchte Akzente setzen.

Ist der Sechser eine Position, mit der du dich längerfristig anfreunden könntest?

Ich kann mich prinzipiell mit allem anfreunden, es geht immer darum, was der Trainer von einem will. Ich habe im Mittelfeld schon alle Positionen gespielt, das hängt jeweils von der Spielphilosophie des Coaches ab. Im Grunde ist es schon so, dass ich defensiv auf der Sechs meine Stärken nicht optimal einsetzen kann. Aber das muss der Trainer entscheiden.

Ihr habt zuletzt in Breda gewonnen, zu Hause gegen Vitesse Arnheim unentschieden gespielt und im Cup Ajax im Elfmeterschießen rausgeworfen. Zweimal kamst du spät von der Bank, das andere Mal gar nicht zum Einsatz. Besteht jetzt die Gefahr, dass du länger draußen bleiben musst?

Natürlich. Es ist ein neuen Trainer gekommen, der andere Ansichten gebracht hat als vorher. Wenn du mehrere Spiele verlierst und der Coach versucht, etwas zu ändern und dann gewinnst du das eine oder andere Match, kann das auf Kosten jener Spieler gehen, die in dem Moment nicht zum Einsatz kamen. Aber so ist das Fußballgeschäft. Da bin ich relativ entspannt, weil ich um meine Qualitäten weiß und in unserer Situation sollte es sowieso nicht um persönliche Eitelkeiten gehen. Wir müssen einfach punkten.

Nach dem, was du während der vergangenen zwei Jahre erlebt hast, wird es auch mehr brauchen, als drei Partien auf der Bank, um dich aus der Ruhe zu bringen.

Das definitiv. Ich habe die letzten zwei Jahre sehr viel mitgemacht. Da sieht man gewisse Dinge von einer anderen Perspektive und weiß, es geht immer noch schlimmer. Somit ist das alles nicht so dramatisch. Jetzt ist erst einmal Winterpause und dann kann man immer noch schauen, was passiert.

War es - rückblickend betrachtet - ein Fehler, Fortuna Düsseldorf zu verlassen?

Ich bin eigentlich der Typ, der sagt: Wenn man etwas macht, dann soll man auch dazu stehen. Es war schließlich meine Entscheidung und zum damaligen Zeitpunkt dachte ich, dass es die richtige wäre. 1860 machte mir damals ein gutes Angebot, bei dem ich auch ein positives Gefühl hatte und deshalb den Schritt machte. Dass es dort dann so chaotisch ablaufen würde, wusste ich im Vorhinein nicht. Ich sage nicht, dass es ein großer Fehler war, aber im Nachhinein stellt man sich schon die Frage, ob man nicht in Düsseldorf hätte bleiben sollen.

In München sind auch Dinge auf Vereinsebene passiert, wo man als Spieler machtlos ist.

Obwohl wir kein gutes Jahr hatten, lief es für mich persönlich sportlich ganz gut. Ich habe meine Scorerpunkte gemacht, nur bringt dir das nichts, wenn du am Ende gegen den Abstieg spielst. Alles andere, was innerhalb des Vereins passierte, konnte ich als Spieler nicht beeinflussen. Dieses Chaos geht bei 1860 ja auch jetzt weiter. Aber ich kann nicht sagen, dass es ein Fehler war, dort hinzugehen. Ich habe in München gelebt und jede zweite Woche in der Allianz-Arena Fußball gespielt. Das kann nicht jeder von sich behaupten.

Der Fußball ist schnelllebig.

Genau. Als ich damals von der Austria zu Wolfsberg ging, haben alle die Stirn gerunzelt, aber dort lief es perfekt und so bin ich schließlich nach Düsseldorf gekommen. Im Fußball kann man nie wissen, wie es weitergeht.

Twente ist für dich die erste Station in einem nicht-deutschsprachigen Land. Wie hast du dich eingelebt und wie schaut's mit den Sprachkenntnissen aus?

Das Niederländische ist dem Deutschen ja sehr nahe, da versteht man schon ein paar Wörter, wenn man genau hinhört. Selber sprechen ist noch nicht wirklich drin, aber das ist auch halb so schlimm, weil hier jeder Englisch spricht. Aber es war schon so, dass ich den ein oder anderen Tag länger gebraucht habe, um mich einzugewöhnen. Mittlerweile geht es ganz gut.

Was ist dir am schwersten gefallen?

Der Hauptpunkt ist einfach die Sprache. Wenn du in die Kabine reinkommst und so gut wie nichts verstehst, fällt es schwerer, alles einzuordnen. Am Anfang ging es, weil unter Trainer René Hake in der Kabine Englisch gesprochen wurde. Der neue Coach Gertjan Verbeek redet aber nur auf Niederländisch, das macht es schwieriger.

Ist es da umso positiver, mit Marko Kvasina einen zweiten Österreicher in der Mannschaft zu haben?

Natürlich ist es angenehm, wenn man einen Landsmann dabei hat. Da hat man gleich einen anderen Zugang, das macht es immer etwas leichter.

Ein anderer Ex-Klub von dir ist ebenfalls in der Krise. Was sagst du zur Situation der Austria?

Ich hatte drei super Jahre bei der Austria und habe sehr gerne dort gespielt. Da ist es natürlich nicht schön, den Verein jetzt in der Krise zu sehen. Aber man muss wirklich sagen, dass sie ein unglaubliches Pech mit den Verletzungen hatten, deswegen ist das Ganze schon etwas anders einzustufen, als wenn alle fit wären und sie trotzdem so dastehen würden. Wenn der ein oder andere wieder zurückkommt, bin ich überzeugt, dass sie wieder in die Spur finden werden.

Dein Vertrag bei Twente läuft noch bis Sommer 2019. Wenn ihr die Klasse haltet, planst du, auch nächste Saison in Enschede zu spielen?

Prinzipiell plane ich im Fußball gar nichts, das habe ich über die Jahre gelernt. Es ist jetzt ein neuer Trainer hier, da weiß man auch nie zu hundert Prozent, ich welche Richtung es geht. Alles andere wird man sehen.

Wird man Michael Liendl noch einmal in der österreichischen Bundesliga spielen sehen?

Im Grunde würde ich schon gerne noch einmal in Österreich spielen, aber wann und ob es dann auch wirklich so sein wird, weiß ich noch nicht. Ich bin körperlich jedenfalls gut in Schuss, war während der letzten Jahre eigentlich nie verletzt und bin immer auf meine Spiele gekommen. Ich werde sicher wieder nach Österreich zurückkommen, weil ich dort wohnen werde. Klar wäre es schön, wenn ich auch meine Karriere in Österreich ausklingen lassen könnte.

Mehr dazu:
>> Die Karrierestatistiken von Michael Liendl
>> Ergebnisse und Tabelle der Eredivisie

David Mayr

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