07.02.2018 14:00 Uhr

Der Exodus der St. Pöltner Rekord-Champions

Gar nicht so lange her. Da herrschte noch Aufbruchstimmung in St. Pölten
Gar nicht so lange her. Da herrschte noch Aufbruchstimmung in St. Pölten

Krems, Bergern, Bisamberg, Wolfsberg, Istanbul, Baku - Innsbruck, Herzogenburg. Der SKN St. Pölten hat es geschafft, seine Rekord-Champions sukzessive auseinander zu sprengen und sich selbst zu entwurzeln.

20 Monate ist es her, dass der SKN in der Ersten Liga mit Punkterekord Meister wurde. Nach der Teller-Übergabe feierten Hundertschaften an Fans bis in die Morgenstunden. Der enthusiasmierte LH Dr. Erwin Pröll schnappte sich nach einem Selfie-Marathon das Mikro und appellierte: "Bitte haltet den Spielern auch die Treue, wenn es einmal nicht so laufen sollte." Dafür müssten sie jetzt ganz Österreich und die halbe Welt bereisen.

Von den 26 eingesetzten Erstliga-Champions liefen Samstag beim LASK nur mehr zwei für den SKN auf: Michael Ambichl und Michael Huber. Vom Meisterstamm sind sonst nur noch David Steć, Daniel Petrovic und der trotz Vertrag bis 2019 zum dritten Goalie degradierte Christoph Riegler da. Zum Vergleich: Vom Mattersburger Meister-Stamm von 2015 sind noch zehn Spieler bei den Burgenländern aktiv, vom Altacher Meister-Stamm 2014 kicken noch acht für die Vorarlberger.

Dieng hat es sich verbessert

Klar verbessert hat es sich Cheikhou Dieng. Sein Berater Horst Zangl, auch Internationalisierungsbeauftragter des SKN, vermittelte den Senegalesen zu Başakşehir. Dort spielt Dieng zwar keine Rolle, kassiert aber laut Tageszeitung "Aydinlik" 500.000 Euro Fixum pro Saison - eine Summe, die Zangl heftig dementiert. Zuletzt wurde Dieng an Zweitligist Ankaragücü verliehen, kam dort aber kaum dran.
>> "Werde Hertha und Hans vermissen"

Spielmacher Lukas Thürauer bekam erst vor kurzem den  "Golden Handshake" und kickt jetzt unter Frenkie Schinkels für den Kremser SC in der NÖ Landesliga. Goalgetter Daniel Lucas Segovia (19 Ligatore in der Meistersaison) ist nach wie vor in Aserbaidschan auf Klubsuche, nachdem ihm der SKN ein Comeback aufgrund des "Österreicher-Topfs" verwehrte. Der zweitbeste Schütze von damals, Manuel Hartl (11 Tore), stürmt für BW Linz.
>> "Ich wäre gerne zum SKN zurückgekommen"

Bernd Gschweidl geht sehr erfolgreich in der Bundesliga für den Wolfsberger AC auf Torejagd. Marcel Holzmann gehört zum erweiterten Stamm bei der Admira. Andere sind nur mehr in Amateurligen aktiv: Jefferson in der brasilianischen Serie D, der berufstätige Peter Brandl zum Beispiel in der niederösterreichischen 1. Klasse Nordwest-Mitte für SV Bergern, Marc Prettenthaler in der Gebietsliga Nord/Nordwest für den 1. FC Bisamberg.
>> "Das hat mir zu lang gedauert beim SKN"
>> "Komisches, aber wunderschönes Ende"

Fallmann: "Alle haben in die gleiche Richtung gearbeitet"

Der damalige Co-Trainer und spätere Chef-Coach Jochen Fallmann fängt mit 38 Jahren beim SC Herzogenburg in der 2. Landesliga West wieder zum Kicken an. Er sieht rückblickend die Verpflichtung vom Sportpsychologen Prof. Dr. Andreas Marlovits als "wesentlichen Mosaikstein" für den Meistertitel.

"Es war eigentlich schon fünf nach zwölf", so Fallmann im Gespräch mit weltfussball, "aber Marlovits hat es geschafft, eine Struktur in den Klub zu bringen. Er war eine Art Mediator und hat uns den Routenplan vorgegeben. Der Vorstand, der Generalmanager, der Sportdirektor, die Betreuer und die Spieler haben alle an einem Strang gezogen. Alle Köpfe haben in die gleiche Richtung gearbeitet. Es hätte natürlich auch nicht aufgehen können, aber dann wären wir im Folgejahr auch noch verdammt gut dagestanden."

Ein Aderlass an Führungskräften

Auf die Dienste von Marlovits - der u.a. auch Werder Bremen, den VfL Wolfsburg oder Mario Gomez zu seinen Klienten zählt - vertraut der SKN nach wie vor. Der Statzendorfer Meistermacher Karl Daxbacher bekam Ende Oktober 2016 den Laufpass. Der Radlberger Jochen Fallman ging vergangenen Oktober freiwillig.

Im Dezember trat der St. Pöltner Christian Walter aus dem Vorstand zurück. ("Zuviele Köche verderben hier den Brei.") Kurz danach wurde der St. Pöltner Tom Haiderer als Teammanager gekündigt. Letzte Woche zog der Tullner SKN-Jugendleiter Willi Schmircher die Konsequenzen. ("Mir fehlt das Bekenntnis zur Nachwuchsarbeit.")

Aves, das perfekte Pendant

Im Schnitt unterzeichen Generalmanager Andreas Blumauer und Präsident Gottfried Tröstl seit dem Meistertitel 2016 beinahe jede Woche einen neuen Vertrag oder lösen einen alten auf. Um in Europa ein ähnliches Durchhaus zu finden, muss man schon lange suchen - es sei denn, man fängt beim SKN-Kooperationspartner CD Aves an. Die Portugiesen, die laut SKN aufgrund ihrer ausgezeichneten Nachwuchsarbeit ausgesucht wurden, sind seit ihrem Aufstieg ebenfalls im Transferwahn und aktuell Schlusslicht der Primeira Liga.

Die Herren Ricardo Mangas und Ricardo Rodrigues finden sich nicht auf dieser Transferliste. Die beiden Spieler, die Aves zum SKN schickte und von Trainer Oliver Lederer umgehend retourniert wurden, landeten leihweise beim SC Mirandela in der zweiten Liga und bei CD Mafra in der dritten Liga.

Mehr dazu:
>> der SKN-Meisterkader
>> Interview: "Mache mir große Sorgen um den SKN"
>> Ergebnisse und Tabelle Bundesliga

Thomas Schöpf

Online-Wettanbieter: bet365 | Interwetten | sportingbet | Tipico Sportwetten