15.11.2014 10:29 Uhr

Als Polster der DDR die WM-Teilnahme stahl

Matthias Döschner von der DDR dribbelt den Ball durch das Mittelfeld
Matthias Döschner von der DDR dribbelt den Ball durch das Mittelfeld

Der Abend des 15. November 1989 war ein historischer in der Geschichte des deutschen Fußballs. Während in Köln "Icke" Häßler mit seinem 2:1-Siegtreffer im entscheidenden WM-Qualifikationsspiel gegen Wales den Weg zum WM-Titel in Italien ebnete, verpasste zeitgleich die Nationalelf der DDR nur eine Woche nach dem Fall der Mauer das Ticket für die Weltmeisterschafts-Endrunde. 

Ein Punkt hätte dem talentierten Team von Trainer Eduard Geyer beim Aufeinandertreffen mit den Österreichern im Wiener Praterstadion gereicht, um erstmals nach 1974 wieder am Kräftemessen der besten Fußballteams der Welt teilzunehmen. Toni Polster  - und vielleicht auch der Mauerfall  - machte ihnen einen dicken Strich durch die Rechnung.

0:3 hieß es am Ende aus Sicht der DDR. Die westdeutsche Mannschaft duselte sich dagegen zur Endrunde und löste ein halbes Jahr später eine schwarz-rot-goldene Euphoriewelle aus, das DDR-Pendant spielte nur noch ein paar Freundschaftsspiele, ehe es Ende 1990 abgewickelt wurde.

Keine Konzentration möglich

Dabei wäre die Qualifikation für das Team um Sammer, Kirsten und Co. durchaus wahrscheinlich gewesen. Bis zum entscheidenden Spiel im Praterstadion hatte die DDR keines der fünf Duelle mit den Österreichern verloren. Dazu kam eine Mannschaft mit einer ganzen Reihe aufstrebender Talente. Allerdings war die Konzentration durch die aufwühlenden Berliner Ereignisse in den Tagen zuvor ernsthaft gestört. Die Öffnung der Mauer hatte auch zahlreiche Scouts auf den Plan gerufen, die umgehend versuchten, sich im Umfeld des DDR-Trainingsquartiers die Dienste von Ulf Kirsten, Matthias Sammer, Andreas Thom oder Thomas Doll zu sichern.

Der damalige DDR-Nationalspieler Heiko Scholz erinnert sich 20 Jahre später im Interview mit dem "WDR": "Wir waren im Teamhotel von unbekannten Gesichtern umzingelt. Das war für uns nichts ungewöhnliches, wir waren meist an anonyme Stasi-Beobachter gewöhnt. Aber diese ganzen Spielerbeobachter, Scouts – da waren viele windige Typen darunter." Die lungerten in der Hotel-Lobby herum und warteten auf Sammer, Kirsten oder Doll. Heiko Scholz weiter: "Auf dem Weg zum Training, bei der Rückkehr ins Hotel – ständig haben sie die Jungs angequatscht. Auch wenn die Spieler die Gespräche abgelehnt haben, hat das natürlich die Konzentration gestört."

Toni Polster macht kurzen Prozess

Die Folgen zeigten sich am Abend des 15. November. Schon nach zwei Minuten gingen die Österreicher durch einen Treffer von Toni Polster in Führung. In den vorangegangenen Qualifikationsspielen war der spätere Torjäger von Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln aufgrund seiner Ladehemmung noch ausgepfiffen worden, doch dieser Abend sollte seiner werden.

In der 23. Minute verwandelte Polster einen Elfmeter und spätestens mit seinem dritten Treffer zum 3:0-Endstand in der 61. Minute war das Aus für Sammer & Co besiegelt. Die Alpenrepublik durfte über den Brenner nach Italien fahren, schied dort aber nach wenig überzeugenden Vorstellungen schon in der Vorrunde aus.

Bayer Leverkusen sitzt mit auf der DDR-Auswechselbank

Die Manager aus der Bundesliga, die in Wien im Dutzend auf der Tribüne des Praterstadions saßen, ließen sich von der deutlichen Niederlage der Ost-Elf nicht beeindrucken. Sie wollten die Starkicker der DDR-Oberliga in den Westen lotsen. Da hieß es schnell zu sein – und der schnellste war Rainer Calmund. Der hatte dem Leverkusener Betreuer Wolfgang Karnath eine Fotografen-Akkreditierung verschafft, mit der dieser sich in der Nähe der DDR-Auswechselbank aufhalten durfte. Der Auftrag: Karnath sollte Kontakte knüpfen und Adressen sammeln. 

Der ausgewechselte Matthias Sammer sah plötzlich einen Fotografen neben sich auf der Auswechselbank sitzen, der sich als Mitarbeiter von Bayer Leverkusen vorstellte und seine Adresse wollte. Die gaben die jungen Spieler nur zu gern, hatten sie doch alle das Ziel "Bundesliga" im Kopf. Der Rest ist bekannt. Andreas Thom wechselte als erster DDR-Fußballer in den Westen zu Bayer Leverkusen, kurze Zeit später folgte ihm Ulf Kirsten. Der VfB Stuttgart köderte Matthias Sammer, der Hamburger SV sicherte sich Thomas Doll.

Für die jungen Spieler der DDR-Nationalmannschaft war der 15. November der Startschuss für eine lukrative Karriere in der Bundesliga. Für den DDR-Fußball läutete er den endgültigen Abgesang ein. Acht Monate später, am Abend des 8. Juli 1990, während Franz Beckenbauer mit hinter dem Rücken verschränkten Armen einsam seine Runde im Stadio Olimpico drehte, standen Fußballfans in Ost und West hinter "ihrer" Mannschaft. Der Triumph von Rom nahm die tatsächliche Wiedervereinigung am 3. Oktober vorweg.

Ob das mit einer ebenfalls qualifizierten und mit dem West-Team um Punkte und Sympathien konkurrierenden DDR-Nationalmannschaft ebenso gewesen wäre, darf zumindest bezweifelt werden.

Mehr dazu:
>> DIASHOW: Ost-West-Karrieren

Ralf Amshove

Online-Wettanbieter: bet365 | Interwetten | sportingbet | Tipico Sportwetten