19.03.2020 07:26 Uhr

Damals: Das Wunder von der Grotenburg

Wolfgang Funkel (l.) und Matthias Herget bejubeln den Uerdinger Sieg
Wolfgang Funkel (l.) und Matthias Herget bejubeln den Uerdinger Sieg

Am 19. März 1986 feierte Bayer Uerdingen einen legendären 7:3-Erfolg im Europapokal der Pokalsieger gegen Dynamo Dresden. Die Partie gilt dank ihrer unfassbaren Dramatik als eines der spektakulärsten Spiele der Fußballgeschichte.

Noch heute schämen sich Hunderte Fans aus Krefeld. Denn scharenweise hatten sie an jenem 19. März 1986 angesichts eines 1:3-Rückstandes von Bayer Uerdingen im deutsch-deutschen Duell gegen Dynamo Dresden zur Halbzeit die Grotenburg-Kampfbahn verlassen.

Die Sachsen hatten schon das Hinspiel 2:0 gewonnen, es schien auf ein Debakel des Sensations-DFB-Pokalsiegers aus dem Vorjahr hinauszulaufen.

"Jungs, auch wenn es aus und vorbei ist, blamiert euch nicht weiter, verabschiedet euch anständig aus dem Europapokal", appellierte Bayer-Coach Karl Heinz Feldkamp in der Halbzeit in der Kabine an seine Schützlinge.

Es ging eigentlich nur noch um Schadensbegrenzung. Fünf Tore brauchte Uerdingen noch zum Weiterkommen, vollkommen unrealistisch.

Zweite Halbzeit wie im Rausch

Doch dann nahm das Wunder seinen Lauf. Wolfgang Funkel, dessen Bruder Friedhelm ebenfalls auf dem Platz stand, blies mit seinem zweiten Treffer in der 57. Minute zur Aufholjagd. Lárus Gudmundsson (62.) glich wenige Minuten danach aus.

Spätestens als Wolfgang Schäfer (66.) die Hausherren in Führung brachte, schlotterten den zuvor scheinbar schon als sichere Sieger feststehenden Gästen die Knie. "Ab da haben wir geglaubt, dass vielleicht doch noch etwas geht", erinnerte sich Wolfgang Funkel später.

Dietmar Klinger (78.) und erneut Wolfgang Funkel vom Punkt (79.) stellten auf 6:3. Unmittelbar danach verhinderte Bayer-Torhüter Werner Vollack mit zwei Glanzparaden ein Comeback Dynamos. Schäfer setzte in der 87. Minute den Schlusspunkt.

Als die Aufholjagd perfekt war, spielten sich im Stadion unglaubliche Szenen um die siegreichen Spieler ab. Zahlreiche Menschen strömten, aufgeweckt durch die Live-Fernsehbilder, zurück an den Ort des Geschehens. "Unfassbar, ich sitze auf Wolke sieben", frohlockte Bayer-Präsident Arno Eschler und erhöhte spontan die Siegprämie für seine Akteure von 7000 auf 10.000 Mark.

Lippmann flieht in den Westen

Doch nicht nur die Leistung der Feldkamp-Mannschaft ging in die Historie ein. Dynamo-Spieler Frank Lippmann nutzte das Spiel, um sich von seiner Mannschaft abzusetzen und bei Verwandten in Nürnberg zu bleiben. In der DDR-Presse war schnell von "Verrat" die Rede.

Aufseiten der Dresdner kickten damals auch die jungen Ulf Kirsten und Matthias Sammer sowie Ausnahme-Libero Hans-Jürgen "Dixie" Dörner. Coach von Dynamo war Klaus Sammer. Diesem wurde Lippmanns Flucht zur Last gelegt, er wurde am Saisonende als Chefcoach abgelöst.

"Ich persönlich habe es damals abgelehnt, den Job weiterzumachen, weil meine Ablösung nur noch Formsache war. Erich Mielke (Minister für Staatssicherheit, d.Red.) und Manfred Ewald (DDR-Sportchef, d.Red.) haben mich damals als Trainer zum Abschuss freigegeben, da unser Ausscheiden ihrer Meinung nach 'klassenschädigend' war", berichtete Sammer rückblickend.

Eintrag in die Geschichtsbücher

In Krefeld zehren sie heute noch von ihrem Wunder, das inzwischen die kleine Ewigkeit von drei Jahrzehnten zurückliegt. Der Bayer-Nachfolgeverein KFC Uerdingen war zwischenzeitlich in den Niederungen des Amateurfußballs verschwunden, schaffte in der Saison 2018/19 immerhin den Aufstieg in die 3. Liga.

In den Geschichtsbüchern hat der kleine Klub vom Niederrhein seinen Platz aber für immer sicher. Vor allem dank des Wunders von der Grotenburg.

Das Magazin "11Freunde" kürte die Partie im Jahr 2007 sogar zum größten Fußballspiel aller Zeiten. Über 200 Journalisten, Trainer und Spieler hatten den Thriller als Sieger der Abstimmung ausgewählt.

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