05.06.2016 10:27 Uhr

1988: Thons Trikot an Koemans Hintern

Ronald Koeman nach dem Triumph gegen Deutschland 1988
Ronald Koeman nach dem Triumph gegen Deutschland 1988

Fußball ist nur ein Spiel? Nicht immer – und nicht für alle! Ende der 1980er Jahre hatte die Rivalität zwischen Deutschland und Holland einen Höhepunkt erreicht. Nach dem Halbfinalsieg über die verhassten Deutschen bei der EM 1988 brennen dem niederländischen Kapitän Koeman die Sicherungen durch.

Es ist der 21. Juni 1988 – Europameisterschaft in Deutschland. Die DFB-Elf war als Gruppensieger in das Halbfinale eingezogen. Dort wartete der alte Rivale aus den Niederlanden. Im Hamburger Volksparkstadion herrschte eine elektrisierende Stimmung – vor allem die vielen tausend Fans aus dem Nachbarland tauchten weite Teile des Stadionrunds in Oranje. Für die Niederländer war das Spiel, das mit der herabwürdigenden Geste Ronald Koemans endete, das vorgezogene Endspiel. Sogar mehr als das. Es war die Revanche für 1974 – und für das Leiden, das Deutschland im zweiten Weltkrieg über die Niederlande gebracht hatte. Die Elf um die Superstars Ruud Gullit und Marco van Basten wollte es gleich zwei Seiten zeigen: Den arroganten Deutschen und der bewunderten niederländischen Fußballergeneration der 1970er, die niemals einen großen Titel gewinnen konnte.

"Jetzt hatten wir endlich die Gelegenheit, das Gezeter von Cruyff und Co. zu widerlegen. Denn die haben nie gegen Deutschland gewonnen. Deshalb waren wir so motiviert", erklärte der damalige Torhüter der Holländer, Hans van Breukelen, später. Dementsprechend emotional wurde das Spiel.

In der 55. Minute ging Deutschland durch einen umstrittenen Elfmeter durch Lothar Matthäus in Führung. 20 Minuten später konnten die Niederlande durch einen noch fragwürdigeren Strafstoß ausgleichen, den Ronald Koeman verwandelte. In den letzten Minuten drückten Gullit & Co. auf die Entscheidung. Das Halbfinale wurde durch das Duell des damals besten Innenverteidigers, Jürgen Kohler, mit dem besten Stürmer der Welt, Marco van Basten, entschieden. In der 89. Minute spielte Jan Wouters einen Steilpass in den Strafraum. Van Basten kam eine Fußspitze vor Kohler an den Ball und spitzelte ihn an Eike Immel vorbei ins lange Eck. Deutschland war geschlagen, die Niederlande stand im Finale.

Die "widerwärtigen Deutschen" rausgeworfen

Die Spieler in Oranje sprangen sich in die Arme und rollten wie kleine Kinder über den Platz. Pflichtschuldig gratulierten die niedergeschlagenen Deutschen ihren Gegnern zum Einzug in das Finale. Olaf Thon, der junge Schalker, der nach der EM zum FC Bayern wechseln sollte, tauschte mit Ronald Koeman, dem Kapitän der Niederländer, das Trikot. Doch der zog das weiße Shirt nicht über, sondern wischte sich mit feixendem Gesichtsausdruck mit dem Trikot demonstrativ den Hintern. Auch bei anderen Akteuren blieb der Adrenalinspiegel nach Abpfiff hoch. Als der deutsche Teamchef Franz Beckenbauer zum Gratulieren in die niederländische Kabine kam, empfingen ihn die Spieler mit Schmähgesängen . Der sonst so zurückhaltende Marco van Basten gab zu Protokoll, der Sieg gebe ihm ein "wunderbares Gefühl, besonders weil wir auf dem Weg ins Finale diese widerwärtigen Deutschen rausgeworfen haben".

Die Aktion des späteren Barça-Akteurs sorgte wochenlang für Schlagzeilen in beiden Ländern. Ronalds Koemans Vater Martin tadelte seinen Sohn dafür, dass er sich auf ein derart tiefes Niveau herabgelassen habe. Sein Filius sah es allerdings auch Tage nach dem Spiel noch anders: "Ich weiß zwar, dass ich es nicht hätte tun sollen. Aber zu sagen, dass ich es bereue…Nein, nicht wirklich." So verwundert es nicht, dass das Aufeinandertreffen der beiden Teams zwei Jahre später bei der Weltmeisterschaft 1990 ein weiteres Mal für unschöne Szenen sorgte. Im Achtelfinale spuckte Frank Rijkaard Rudi Völler zwei Mal in die Lockenpracht.

"Schäme mich für diese Dinge"

In den vergangenen 25 Jahren hat die Rivalität zwischen den beiden Nachbarn auf und neben dem Platz deutlich an Intensität verloren. Auch die Akteure von damals zeigen sich geläutert. Hans van Breukelen erklärte zu den Duellen von 1988 und 1990 in einem Interview mit der "tz" vor einigen Jahren: "Ich muss Ihnen sagen, heute schäme ich mich für diese Dinge und die ganze Situation damals. Wir waren frustriert, dass wir nicht zeigen konnten, was wir draufhaben – dann ist es dazu gekommen. Das war nicht gut. Nach dem Halbfinale 1988 kam Franz Beckenbauer zu unserem Trainer und hat ihm und uns gratuliert. Als ich mich 1990 daran erinnerte, habe ich mich geschämt, dass ich dazu nicht in der Lage war. Aber ich muss auch sagen: Provokationen haben immer zu meinem Spiel gehört. In diesem Fall bin ich über das Ziel hinausgeschossen."

Momentan haben die Deutschen wieder Grund zur Frotzelei: "Ohne Holland fahr'n wir zur EM" singen die Fans in Schwarz und Weiß vor der jetzt anstehenden Europameisterschaft. Aber mal ehrlich – die Duelle den Niederländern und Deutschland bei Welt- und Europameisterschaften haben Fußballgeschichte geschrieben. Schade, dass 2016 kein neues Kapitel dazukommen wird.

Ralf Amshove

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