Die kleine Fußballnation Nordirland hat Blut geleckt und will den großen Weltmeister im direkten Duell in die Knie zwingen. Nach dem historischen Sieg gegen die Ukraine schielt die "Green and White Army" auf die Sensation. Dabei zeigen sich die Nordiren durchaus angriffslustig und selbstbewusst. Der letzte DFB-Gruppengegner im Check.

Formkurve:

Drei Punkte nach zwei Partien - das hatten die wenigsten Experten im Vorfeld für möglich gehalten. Trotz des ersten Dreiers kämpft Nordirland, das sich immerhin als Erster in seiner Qualifikationsgruppe durchsetzte, weiterhin mit dem Image des Fußballzwergs. Mehr Respekt hat sich die Elf um Trainer Michael O'Neill durchaus verdient, nachdem sie im "Hagel von Lyon" mit 2:0 gegen die Ukraine gewann. Anders als in Spiel eins agierte das Team hinten kompakt und vorne eiskalt.

Bei der Niederlage gegen Polen erstarrten O'Neills Jungs noch sichtlich vor Ehrfurcht vor Robert Lewandowski und dessen Kollegen. Das knappe Ergebnis spiegelte den Verlauf der Partie absolut nicht wider. Zu stark waren die Polen, die deutlich höher hätten gewinnen müssen.

Player to watch:

Nordirland fehlt ein Superstar, wie er beispielsweise mit Gareth Bale beim anderen Insel-Underdog Wales zu finden ist. O'Neills Mannschaft gewinnt Spiele über das Kollektiv, durch leidenschaftlich geführte Zweikämpfe und aus stolzem Pflichtgefühl gegenüber den Fans. Wenn ein Spieler heraussticht, ist es Stürmer Kyle Lafferty, der in der Qualifikation auf immerhin sieben Tore kam. Der exzentrische Angreifer ging allerdings aufgrund von Leistenproblemen angeschlagen ins Polen-Spiel und konnte wohl auch deshalb keinerlei Torgefahr ausstrahlen. Gegen die Ukraine saß er gar 90 Minuten auf der Bank.

Trainer:
Michael O'Neill schaffte Historisches: Zum ersten Mal qualifizierte sich sein Land für die Endrunde einer Europameisterschaft. Dabei verlor er zunächst, wie seine Vorgänger auch, die Mehrheit der Spiele und verpasste die Qualifikation für die WM 2014. Doch der Verband vertraute in die Fähigkeiten des 46-Jährigen und verlängerte den Kontrakt. Vertrauen, das sich auszahlte.

Im bis heute protestantisch geprägten Land gilt der Katholik als großes Vorbild des öffentlichen Lebens und trägt zum Zusammenleben der Konfliktgruppen bei. Als Trainer zeichnet sich O'Neill als großer Motivator aus, der das Maximum aus seinen technisch nicht sonderlich versierten Spielern herausholt. Taktisch agiert seine Mannschaft defensiv in einem 4-2-3-1-System, das jedoch auch in eine Dreierkette oder ein 4-3-3-System verändert werden kann.

Zuletzt überraschte er mit fünf Wechseln in der Startaufstellung. Zurückhaltend und bescheiden rückt der Ex-Spieler zudem lieber die Mannschaft in den Vordergrund: "Ich freue mich riesig für die Spieler und weiß, wie viel Arbeit sie in den Sieg hineingesteckt haben", lobte er nach dem Erfolg gegen die Ukraine.

Stärken & Schwächen:

Zu der großen Stärke Nordirlands zählen vor allem die mannschaftliche Geschlossenheit und die kompakte Defensive. Einsatzfreude und eine mit Stolz gefüllte, breite Brust verleihen den Grün-Weißen Flügel. Außerdem deuteten die Nordiren in den ersten Spielen ihre Stärke bei Kontern an, auf die Jogi Löws Elf besonders achten muss. Und nicht zuletzt wären da noch die zahlreichen, lautstarken und stets positiven Fans, die der Mannschaft in jeder Spielsituation zur Seite stehen.

Dass Nordirland im Spiel gegen Deutschland krasser Außenseiter ist, ist allerdings nicht von der Hand zu weisen. Wenig Spielkultur, kaum gelungene Kombinationen und technische Mängel in allen Mannschaftsteilen lassen den Unterschied zum Weltmeister schnell erkennen.

Prognose für das Deutschland-Spiel:

Es geht um alles! Für Deutschland steht der Gruppensieg, mehr aber noch der gute Ruf auf dem Spiel. Für Nordirland geht es letztlich "nur" um die Sensation. "Wir haben keinen Druck. Die Fans sind schon glücklich, hier zu sein. Das ist das Wichtigste für unser Land", bekräftigte Torschütze McAuley nach dem Ukraine-Spiel. Die "Green and White Army" wird sich also im letzten Spiel wie gewohnt hinten reinstellen und auf Konter lauern.

Mit der Uhr im Rücken muss Deutschland versuchen, schnell zu einem Torerfolg zu kommen. Sonst werden die Konter der Nordiren der aufrückenden DFB-Elf Probleme bereiten. Findet die Offensivabteilung des Weltmeisters allerdings zurück zu alter Form, hat Nordirland keine Chance. Dann gewinnt Deutschland, auch dank der individuellen Klasse, deutlich mit 3:0. Auf eine intensive Partie muss man sich aber in jedem Fall einstellen, wie der angriffslustige Stuart Dallas unterstrich: "Ich fürchte mich vor niemandem."