10.04.2017 08:10 Uhr

Rechnung für verfehlte Rapid-Personalpolitik

Rapid-Präsident Michael Krammer
Rapid-Präsident Michael Krammer

Seit Sonntag hat Rapid Wien mit dem Duo Goran Djuricin/Martin Bernhard Trainer Nummer fünf und sechs binnen nur eines Jahres. Die kurze Ära von Damir Canadi ist Geschichte.

Grund genug für weltfussball auf eine völlig verfehlte Personalpolitik zu blicken, die den Verein in diesem Zeitraum vom Titelaspiranten zum Abstiegskandidaten machte.

Als die "beste Besetzung" verabschiedet wurde 

Juni 2016. Im Schatten der Vorbereitungen der österreichischen Nationalmannschaft auf das EM-Auftaktspiel gegen Ungarn sorgt Rapid mit der Trennung von Zoran Barišić für einen Knalleffekt. Der erst ein halbes Jahr zuvor langfristig verlängerte Vertrag wurde "einvernehmlich" aufgelöst - Kurz vor Beginn der Sommer-Vorbereitung auf die neue Saison.

Aus der "besten Besetzung", die es "trotz namhafter Abgänge immer wieder schaffte, eine schlagkräftige Truppe und charakterlich einwandfreie Mannschaft zu formen", wie es der damalige Sportchef Andreas Müller formulierte, war nach drei Vizemeisterschaften hinter Liga-Krösus Salzburg ein Trainer geworden, dem der große Wurf, das Erfüllen der Mission 33 im nigelnagelneuen Stadion und mit erhöhtem Budget, nicht zugetraut wurde.

Nicht einmal 24 Stunden später stand mit Mike Büskens, ein Müller-Kumpel aus alten Schalke-Zeiten, bereits der Nachfolger von Barišić fest. Bei der Präsentation plauderte er aus, bereits in der Woche zuvor bei einem Hearing das Präsidium überzeugt zu haben. Die Einvernehmlichkeit des Barišić-Abschieds war also nicht mehr als eine juristische Floskel.

Die "Kontinuität und Stabilität" unter Präsident Krammer

Rapid-Präsident Michael Krammer referierte in seinem Vorwort über die Sorgfalt bei Personalentscheidungen: "Rapid bedeutet, was Personalpolitik betrifft, große Kontinuität und Stabilität. Wir hatten in den letzten zehn Jahren vier Trainer". Der Vereinsboss konnte sich einen Seitenhieb auf die Konkurrenz nicht verkneifen: "Andere Spitzenvereine in Österreich hatten neun oder zehn."

Rapid hat in der Trainerstatistik seither aufgeholt. Nach anfänglichen Erfolgen in Meisterschaft und Europacup nahm die Saison eine unerwünschte Wendung. Nach 14 Runden war Rapid mit nur 20 Punkten Fünfter. Neun Punkte Rückstand auf das damalige Spitzenduo Sturm Graz und SCR Altach wurden Büskens sowie Müller zum Verhängnis - Beurlaubung.

Der Sportchef wurde zum Sündenbock, ihm sei ja im Juni "bei der Trainerbestellung vertraut" worden. Ein weiteres Erbe von Müller: Ein aufgeblähter Kader und Transferflops, die im Winter wegen der grün-weißen Verletzungswelle kaum oder gar nicht angebracht werden konnten.

"Immer Glück ist Können, immer Pech ist das Gegenteil davon"

"Wir betreiben definitiv keine Hire-and-Fire-Politik", erklärte Michael Krammer am 7. November mit ernster Miene. "Wir haben die Entscheidung jetzt getroffen, weil wir glauben, dass sich Dinge noch verändern können." Der Blick war nach oben gerichtet, "die Tabelle lügt nicht." Und noch einen Satz hatte Krammer auf Lager: "Immer Glück ist Können, immer Pech ist das Gegenteil davon."

Interimistisch leitete Thomas Hickersberger fortan das Training. Zu einem Match-Einsatz reichte es nicht. Denn wieder musste es schnell gehen. Im Rapid-Präsidenten kam der Macher durch. Die Bestellung des neuen Trainers war Chefsache, zumal ein neuer Sportchef erst später geholt werden sollte. Ob es zielführend ist, den Vorgesetzten nach seinem wichtigsten Mitarbeiter zu installieren, sei dahingestellt.

Zur Verpflichtung von Damir Canadi gratulierten Krammer zahlreiche Experten. Der Wiener hatte Altach nicht nur in die Bundesliga und in den Europacup geführt, sondern mischte in der aktuellen Saison mit den Vorarlbergern überraschend im Spitzenfeld mit. Das Sensationsteam sollte am Ende (ohne den zu Rapid gewechselten Canadi) sogar Winterkönig werden.

"Er ist geradlinig und authentisch"

Auch Canadi soll bei seinem Hearing durch hohe Fußballkompetenz überzeugt haben. "Wir brauchen einen solchen Trainer. Einen Trainer, der konzeptiv arbeitet und taktische Flexibilität hat, starke Führungsqualitäten besitzt. Er ist geradlinig und authentisch", fasste Krammer bei der Vorstellung dessen Qualitäten in schönen Worten zusammen.

Canadi riss das Ruder nicht nur herum, sondern drehte taktisch wie personell an fast allen Schrauben. Das Schiff kam derweil noch weiter vom Kurs ab. Die Bilanz von Damir Canadi war nach abermals 14 Meisterschaftsspielen inferior: Zwei Siege, fünf Remis sowie sieben Niederlagen, Tordifferenz 13:20 und nur elf geholte Punkte. In seinem letzten Spiel auf der Trainerbank, einer blamablen 0:3-Pleite beim Tabellenletzten Ried, rutschte Rapid bis auf fünf Zähler an das Tabellenende heran. Die Spielweise ein Missverständnis?

Canadi hatte auch abseits des Spielfelds Niederlagen bezogen, es sich mit einigen Journalisten verscherzt. So feuerten im März gleich mehrere Medien eine Breitseite auf den schon angezählten Rapid-Coach ab. Thema war dabei unter anderem das nicht minder friktionsfreie Verhältnis zu den Spielern. "Leider ist es mir in den letzten Monaten nicht gelungen, […] mir das Vertrauen der Mannschaft zu erarbeiten", sollte Canadi nach seinem Aus via facebook dazu Stellung beziehen.

Präsident Krammer war schon vor Wochen etwas von ihm abgerückt, hatte in Interviews relativiert, dass Canadi "sein" Trainer sei. "Der gesamte Personalausschuss von Rapid" hatte zugestimmt, verteidigte sich Krammer. Inwieweit dort neben wirtschaftlicher auch sportlicher Kompetenz vertreten ist? Der nach Canadi zum Verein geholte Sportchef Fredy Bickel hätte jedenfalls dessen Arbeit auch gut beurteilt. 

Bei Rapid sind längst alle nur mehr Verlierer

April 2017. Am Tag des neuerlichen Trainerwechsels gab Bickel zu Protokoll: "Ich sehe uns alle als Verlierer. Da nehme ich mich nicht aus, weil es mir nicht gelungen ist, ihn so zu unterstützen, dass wir einen längeren gemeinsamen Weg gehabt hätten."

Interimistisch übernehmen nun die Canadi-Assistenten Goran Djuricin (interimistisch in der Rolle als "Einser") und Martin Bernhard als fünfter und sechster Rapid-Trainer binnen nur eines Jahres. Vielleicht bleiben ja sie länger, wenn sie es als Feuerwehr schaffen, den laut Krammer "denkunmöglichen" erstmaligen Abstieg zu verhindern. Die Mission 33 erfüllen sie vermutlich, wiewohl es statt um Meistertitel um Saisonpunkte geht.

Tolle Infrastruktur und gute Noten in Singen und Klatschen gewinnen auch für Rapid keine Spiele. Djuricin gab "hackeln, hackeln, hackeln" als neues Leitmotiv aus. Kapitän Steffen Hofmann musste sich noch in Ried die Frage gefallen lassen, ob Rapid Abstiegskampf überhaupt kann.

Der Größenwahn auf allen Ebenen

Auffallend oft werden in den vergangenen Wochen die treuen Anhänger gelobt. Sie bringen Leistung. Doch die Erinnerungen an den Derby-Platzsturm im Mai 2011 lassen auch einen anderen Grund vermuten, warum ihnen so viel Honig ums Maul geschmiert wird. Vor rund einem Jahr hatten sie das Double per Spruchband verlangt und damit jenen Größenwahn verschriftlicht, der bei Rapid längst Einzug gehalten hat.

Aus stolzer Vergangenheit werden Ansprüche für die Gegenwart abgeleitet, die nur schwer zu erfüllen sind. Bei Rapid führte Selbstüberschätzung zu mehreren unglückliche Personalentscheidungen, die den Verein vom Titelaspiranten zum Abstiegskandidaten gemacht haben. Aber wie war das noch mal, mit dem Glück und dem Pech?

Mehr dazu:
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Sebastian Kelterer

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