06.11.2018 11:44 Uhr

So hat Favre den BVB auf Kurs gebracht

Lucien Favre hat den BVB wieder zu einer Spitzenmannschaft geformt
Lucien Favre hat den BVB wieder zu einer Spitzenmannschaft geformt

In nur vier Monaten bei Borussia Dortmund hat Lucien Favre aus einer Trümmertruppe wieder eine Spitzenmannschaft geformt. Vor dem Champions-League-Spiel bei Atlético Madrid am Dienstag analyisiert sport.de die Arbeitsweise des Trainers. Wie hat Favre den BVB auf Kurs gebracht?

Lucien Favre beim BVB: Der Bessermacher

Der Ruf, junge (und auch nicht mehr ganz so junge) Spieler besser zu machen, eilte Favre bereits aus seiner Zeit bei Borussia Mönchengladbach voraus.

Marco Reus formte der Schweizer in Gladbach in etwas mehr als einem Jahr zu einem Bundesligaspieler von internationalem Format. 

"Er ist fachlich und menschlich der beste Trainer, den ich je hatte", sagte Reus nicht umsonst bereits vor Favres Amtsantritt beim BVB. "Er zeigt dir, wie du verteidigen sollst, wo du richtig stehst, welchen Fuß des Mitspielers du anspielen musst."

In Dortmund hat die Arbeit mit Favre binnen weniger Wochen gleich eine ganze Reihe von Spielern auf ein neues Niveau gehoben.

Dan-Axel Zagadou spielte nach einem vielversprechenden Start seines Engagements beim BVB monatelang gar keine Rolle mehr. Dennoch schenkte Favre dem Innenverteidiger das Vertrauen, als sich zunächst Abdou Diallo und Ömer Toprak, später dann auch Manuel Akanji verletzten. Zagadou zahlte es dem Trainer mit sehr ordentlichen bis absolut herausragenden Leistungen zurück.

Die 1,95-Meter-Kante überzeugt in erster Linie mit großer Abgeklärtheit im Zweikampf. 72,64 Prozent gewonnene direkte Duelle sind aktuell Bundesliga-Bestwert. Auch im Spielaufbau hat Zagadou (89,47 Prozent erfolgreiche Pässe) deutliche Fortschritte gemacht. Von einer "fantastischen Entwicklung" beim 19-jährigen Franzosen spricht dementsprechend auch Favre selbst.

Selbige kann man auch Jacob Bruun Larsen bescheinigen. Der 20-jährige Flügelstürmer schaffte unter Favre den Sprung vom Talent, das in der vergangenen Rückrunde beim BVB entbehrlich war und auf Leihbasis beim VfB Stuttgart spielte, zum Stammspieler. "Er gibt mir Details darüber, welche Möglichkeiten ich auf dem Platz habe. Das finde ich gut", schwärmte der Däne bereits nach wenigen Trainingseinheiten unter Favre vom neuen Coach.

Jadon Sancho deutete in der Vorsaison sein Talent zwar bereits mehrfach an. Durch die Decke ging der 18 Jahre alte Engländer aber erst unter Favre. 13 Torbeteiligungen in 15 Pflichtspielen sind ein herausragender Wert. Sancho überzeugt sowohl als Joker als auch in der Startelf, zählt derzeit zweifelsohne zu den vielversprechendsten Nachwuchshoffnungen im europäischen Fußball. Der frischgebackene Nationalspieler sei "etwas Besonderes", sagt Favre, der bei seinem Schützling aber auch noch "enormes Potenzial" nach oben sieht.

Zudem gelingt es Favre, ehemalige Sorgenkinder nach und nach wieder ins Team zu integrieren. Mario Götze zeigte zuletzt nach monatelanger Formschwäche auf ungewohnter Position in der Sturmspitze aufsteigende Form. Raphael Guerreiro spielte ebenfalls wieder eine größere Rolle. Auch Marcel Schmelzer präsentierte sich, von der Bürde der Kapitänsbinde befreit, vor seiner Knieverletzung in stark verbesserter Verfassung.

Lucien Favre beim BVB: Der Taktikfuchs

Seinen nahezu durch die Bank formstarken Profis hat der Perfektionist Favre ein taktisches Korsett verordnet, das nach den Eindrücken der letzten Wochen bestens passt. "Vom ersten Tag an", habe der neue Coach versucht, "seine Vorstellungen umzusetzen", lobt Sportdirektor Michael Zorc.

Die große Konstante ist die Viererkette in der Defensive. Sein Offensivsystem lässt Favre hingegen flexibel interpretieren. Der Fußballlehrer schickte sein Team bereits im 4-3-3, 4-2-3-1 und 4-4-2 aufs Feld.

Ballbesitz ist bei Favre, zu dessen Spielphilosophie auch das flache Kurzpassspiel gehört, kein Mittel zum Zweck.

Stattdessen glänzen die Dortmunder unter seiner Regie mit schnell vorgetragenen, überfallartigen Angriffen, insbesondere über ihre schnellen Flügelspieler Sancho, Bruun Larsen oder Christian Pulisic. Viele Spielzüge lässt Favre zudem genauso vorher im Training einstudieren.

Das Resultat: Die schwarz-gelbe Angriffsmaschinerie läuft wie geschmiert. 30 Treffer in zehn Bundesligaspielen sowie acht Treffer in drei Partien der Champions League sprechen eine deutliche Sprache.

Favres größter Verdienst dürfte jedoch die stark verbesserte Balance zwischen Offensive und Defensive sein.

In der Bundesliga kassierte der BVB nur zehn Gegentore, lediglich RB Leipzig (9) ist weniger anfällig. In der Königsklasse wahrte die Borussia bisher sogar in allen Begegnungen eine weiße Weste.

Auffällig darüber hinaus: Favres hervorragendes In-Game-Coaching. Dass dem BVB bereits 16 Joker-Tore gelangen, ist auch ein Verdienst des Trainers. Personelle und taktische Anpassungen innerhalb der Partien greifen bei Favre fast immer.

Lucien Favre beim BVB: Der Motivator

Obwohl Favre nach außen bisweilen zerstreut, ja fast schon etwas trottelig wirkt, hat er mannschaftsintern auch abseits des Platzes Großes geleistet.

Der Teamgeist beim BVB ist so gut wie lange nicht mehr. Mit einer offenbar genau dosierten Mischung aus klarer Ansprache und großer Wertschätzung brachte der 61-Jährige alle Spieler hinter sich - und, noch wichtiger, dazu, endlich wieder an einem Strang zu ziehen.

Sogar der mit 29 Spielern eigentlich viel zu große Kader des BVB erweist sich bislang dank Favres Art eher als Segen denn als Fluch. Der Trainer hält in Zusammenarbeit mit Sebastian Kehl, dem neu installierten Leiter der Lizenzspielerabteilung, auch die Akteure bei Laune, die wenig Einsatzzeit bekommen.

Sind die etatmäßigen Reservisten dann beispielsweise aufgrund von Verletzungen plötzlich gefragt, kann sich Favre ohne Wenn und Aber auf sie verlassen.

Natürlich ist Favre allein schon aufgrund seines ruhigen Charakters kein klassischer Antreiber à la Jürgen Klopp. Dennoch kann er Spieler kitzeln und sie zu Höchstleistungen treiben.

Tobias Knoop

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