21.03.2019 06:52 Uhr

"Bin sehr stolz auf meine Arbeit beim ÖFB"

Ruttensteiner hat mit ÖFB-Vergangenheit abgeschlossen
Ruttensteiner hat mit ÖFB-Vergangenheit abgeschlossen

Mit 1. Juli des Vorjahres hat Willi Ruttensteiners Tätigkeit als Sportdirektor des israelischen Fußball-Verbandes begonnen.

Seither ist der frühere ÖFB-Sportchef damit beschäftigt, bei Österreichs EM-Qualifikationsgegner für neue Strukturen zu sorgen, die seiner Wahlheimat eine erfolgreiche Zukunft bescheren sollen.

Sie sind seit fast neun Monaten im Amt - wie fällt Ihre erste Bestandsaufnahme aus?

Ruttensteiner: "Ich habe drei, vier Monate gebraucht, um eine Analyse durchzuführen. Daraus habe ich im November einen Langzeitplan erarbeitet, der im Jänner im Präsidium einstimmig beschlossen wurde. Jetzt beginne ich mit der Umsetzung in allen Bereichen, von der Trainerausbildung über den Breitenfußball und Frauenfußball bis zu den Nationalmannschaften. In ganz Israel gibt es 40.000 registrierte Fußballer - diese Zahl will ich mit dem Langzeitplan verdoppeln und außerdem die Anzahl der Spielfelder erhöhen."

Wie sehen die Ziele mit der israelischen Nationalmannschaft aus?

Wir wollen eine positive Entwicklung, und die war schon in der Nations League zu sehen. Auf der anderen Seite geht es um Ergebnisse. In der EM-Qualifikation haben wir eine ausgeglichene Gruppe. Wir wollen gegen Slowenien, Nordmazedonien und Lettland bestehen, und wenn wir die beiden Topfavoriten Polen und Österreich ärgern können, werden wir das natürlich tun. Wir wollen uns für Turniere qualifizieren, nicht nur mit dem A-Team, sondern auch mit Nachwuchs-Mannschaften.

Ihre Bestellung und die darauffolgenden Verpflichtungen von Andreas Herzog als Teamchef, Klaus Lindenberger als Tormanntrainer und Heinz Hochhauser als Scout wurden in Israel teilweise mit Skepsis aufgenommen. Wie sind Sie damit umgegangen?

Der israelische Verband hat ein internationales Hearing mit 15 bis 20 Personen veranstaltet. Letztlich haben sie mir das Vertrauen ausgesprochen und ein Angebot gemacht. Meine erste große Entscheidung war dann die Verpflichtung von Herzog. Skepsis ist nur wegen seines Tores in der WM-Qualifikation 2001 gegen Israel aufgekommen. Es ist nie gegen ihn als Coach gegangen, sondern war einfach historisch bedingt und hat sich mittlerweile total in die andere Richtung gedreht. Die Leute mögen ihn, er ist akzeptiert und der Job gefällt ihm sehr gut.

Was hat bei der Teamchefsuche den Ausschlag zugunsten von Herzog gegeben?

Der erste Schritt war, ein Profil und ein Budget für den israelischen Nationaltrainer festzulegen. Nach dem Beschluss im Technischen Komitee habe ich den nationalen und internationalen Markt anhand des Profils sondiert und viele Gespräche geführt. Herzog war der beste Kandidat, ich habe ihn mehrmals kontaktiert und meinen Plan mit ihm besprochen. Er war begeistert und dann ging alles sehr schnell. Der Beschluss, ihn als Nationaltrainer zu bestellen, war einstimmig und aus heutiger Sicht gut für das Land.

Verbandschef Shino Zuaretz war maßgeblich an Ihrer Bestellung beteiligt, wird aber im Mai oder Juni zurücktreten. Löst das gewisse Befürchtungen bei Ihnen aus?

Bestellt hat mich ein Technisches Komitee, Zuaretz ist erst im Oktober Präsident geworden, war aber schon in meine Verpflichtung eingebunden. Mir tut es sehr leid, dass er den Verband verlässt, die Zusammenarbeit mit ihm ist außerordentlich gut. Natürlich ist ein Präsidentenwechsel immer mit anderen Arbeitsweisen und Methoden verbunden, aber ich denke nicht über etwas nach, was noch nicht eingetroffen ist.

Ihre Tätigkeit beim ÖFB ging Ende 2017 unter großem Getöse zu Ende. Wie sehr stören Sie heute noch die Begleitumstände Ihres unfreiwilligen Abschieds?

Eigentlich überhaupt nicht mehr, weil ich damit komplett abgeschlossen habe. Ich bin sehr stolz auf meine Arbeit beim ÖFB, die sich in allen Bereichen sehen lassen kann. Ein großes Ziel - die Qualifikation für eine U21-EM - habe ich nicht erreicht, aber alles andere ist eigentlich aufgegangen. Ich denke, dass meine Reputation trotz des unrühmlichen Abgangs gegeben ist.

Hatten Sie beim entscheidenden Hearing im ÖFB-Präsidium gegen Peter Schöttel eine faire Chance?

Ich habe schon vorher gewusst, dass ich ausscheiden muss, aber ich habe meine Präsentation bis zur letzten Folie sehr professionell zu Ende geführt. Das andere konnte ich nicht steuern und habe ich nicht zu verantworten.

Sie wurden danach als "Bauernopfer" bezeichnet, das ÖFB-Präsident Leo Windtner gebracht habe, damit ihm das Präsidium gewogen bleibt. Trifft diese Einschätzung zu?

Ich habe Leo Windtner viel zu verdanken. Ich habe sehr davon profitiert, dass ich ÖFB-Sportdirektor war. Diese Sache ist abgeschlossen.

Aus dem ÖFB-Präsidium waren immer wieder Vorwürfe zu hören, dass Sie die verpatzte EM 2016 nicht schonungslos genug analysiert hätten - wie stehen Sie dazu?

Ich habe die EM mit Marcel Koller so ausführlich wie noch nichts in meinem Leben analysiert. Es gibt einen 70-seitigen Bericht darüber, die wichtigsten Leute im ÖFB haben ihn gekannt. Ich mache mir da überhaupt keinen Vorwurf."

Bei einer Pressekonferenz einen Monat nach der EM mit Ihnen und Koller machte sich der ÖFB nur den Vorwurf, dass die Mannschaft einmal zu lange bei einem Sponsorenessen war und einmal vor dem Aktivieren in Paris im Stau gesteckt ist.

Was man bei einer Pressekonferenz mitteilt, ist das eine. Intern haben die Führungspersönlichkeiten eine sehr gute Analyse bekommen. Ich bitte auch um Verständnis, dass ich mich gar nicht mehr genau erinnern kann, was bei dieser Pressekonferenz gesprochen wurde.

Rund um Ihren und Kollers Abgang wurden Forderungen nach einer ÖFB-Reform mit einer Kompetenz-Beschneidung des aktuellen Präsidiums laut, Marc Janko wiederholte das im Herbst. Wie stehen Sie dazu?

Es steht mir nicht zu, das zu kommentieren. Es ist aber extrem wichtig, wie ein Verband aufgebaut ist und welche Verantwortlichkeiten es gibt.

Nach dem schalen Beigeschmack Ihres Abgangs vom ÖFB - wie groß wäre Ihre Genugtuung im Falle eines Sieges über Österreich am Sonntag?

Mit gefällt das Wort Genugtuung überhaupt nicht. Jeder Punkt in der EM-Qualifikation würde mich wahnsinnig freuen, egal ob gegen Österreich oder eine andere Mannschaft. Am schönsten wäre es, wenn sich aus dieser Gruppe Österreich und Israel qualifizieren. Wenn wir uns nicht qualifizieren und die Österreicher schon, würde ich mich auch für sie freuen, weil mir die Spieler sehr ans Herz gewachsen sind.

Das Interview führte die Austria Presse Agentur

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