07.05.2020 11:25 Uhr

Baumgartlinger: "Werden eine Lösung finden"

Für Leverkusen-Legionär Julian Baumgartlinger sind Geisterspiele das geringere Übel
Für Leverkusen-Legionär Julian Baumgartlinger sind Geisterspiele das geringere Übel

ÖFB-Teamkapitän Julian Baumgartlinger spricht im Interview über die Lehren aus der Corona-Krise, den schnellen Übergang von der Solidarität zum Neid und sein Standing als mannschaftsdienlicher Defensivspieler.

Die deutsche Bundesliga nimmt Mitte Mai den Spielbetrieb wieder auf. Für Julian Baumgartlinger sind Geisterspiele das geringere Übel. Ein Saisonabbruch wegen der Coronavirus-Pandemie wäre für die Liga eine existenzielle Bedrohung gewesen, meinte der ÖFB-Teamkapitän in Diensten von Bayer Leverkusen.

>> Rückkehr der deutschen Bundesliga am 15. Mai

Mit der APA sprach der 32-jährige Salzburger über die Strahlkraft des Fußballs, Herausforderungen und Folgen der Krise sowie seine eigene Zukunft im österreichischen Nationalteam.

Welche Bedeutung hat es für die Gesellschaft, dass demnächst wieder Profifußball gespielt wird?

Julian Baumgartlinger: Es gibt auch wichtigere Bereiche, die funktionieren sollten. Viele sind aber schon seit Wochen wieder dabei, ihre Tätigkeiten aufzunehmen. Der Fußball hat wie alle anderen versucht, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass er weitermachen kann. Weil er gerade in Deutschland eine gewisse Strahlkraft hat, ist klar, dass mehr darüber geredet wird als über andere Bereiche. Der Fußball polarisiert viel mehr, bekommt daher aber auch Gegenwind.

Wie stehen Sie zu der vor allem in Deutschland geführten Debatte um die Privilegien der Bundesliga mit all den notwendigen Tests?

Das muss man allgemeiner fassen. In den ersten Wochen der Krise gab es eine Solidarität in der Gesellschaft, die ich großartig gefunden habe. Es hat dann aber relativ schnell begonnen, dass wir uns gegenseitig wieder alles neiden. Wer darf was? Dürfen wir unsere Kinder wieder in den Kindergarten oder in die Schule bringen? Ich freue mich über jeden, der gut durch die Krise und schnell wieder in seinen normalen Arbeitsalltag kommt. Wenn es verantwortungsvoll geht, soll jeder wieder starten. Und der Fußball tut sehr viel dafür.

Meinen Sie damit auch das soziale Engagement?

Bayer Leverkusen spendet für jeden Test, der in der Mannschaft gemacht wird, unzählige Tests für andere gesellschaftliche Bereiche. Das finde ich schon vorbildlich. Der Fußball polarisiert, daher ist schnell auch ein Gehaltsverzicht thematisiert worden. Das haben wir auch gemacht, die Spieler und die sportliche Führung. Bayer ist im Gesundheitsbereich sowieso in die gesamte Forschung eingebunden - auch global. Da wird viel getan.

Welche Schlüsse sollte man aus dieser Krise ziehen? Was kann man daraus lernen?

Eine globale Ausbreitung einer Krankheit hat es im 21. Jahrhundert noch nie gegeben, dazu kommen Informationen und Falschinformationen, Ängste, die übertriebenen Nachrichten - das geht in alle Himmelsrichtungen. Es wird die Herausforderung unserer Generation sein, nicht so schnell in Panik zu verfallen oder über Verschwörungstheorien nachzudenken. Ich schätze, wir werden das Ganze aber erst in ein, zwei oder drei Jahren richtig einordnen und bewerten können.

Die EM ist mitten in die kommende WM-Qualifikation hineingeschoben worden. Welche Auswirkungen hat das auf Ihre Karriereplanung im Nationalteam?

Dass die EM ein Jahr später ist, sonst nichts. Sofern ich gesund bin und meine Leistung bringe, denke ich, dass ich nächstes Jahr auch noch eine EM spielen kann. Ich werde so lange dem Nationalteam zur Verfügung stehen, wie ich Profifußballer bin. Solange mich der Nationaltrainer einberuft, werde ich auch immer bereit sein. Deswegen hat es für mich nichts verändert.

Außer, dass es nächstes Jahr vermutlich einen ziemlich engen Terminplan geben wird.

Ja, und es ist auch ein wenig skurril. Die WM-Quali beginnt, bevor das letzte Turnier überhaupt angefangen hat. Aber in Zeiten wie diesen muss man sehr, sehr offen sein. Wir sollten Dinge annehmen und optimistisch bleiben. Das versuche ich. Ich glaube, dass alles machbar ist, solange es verantwortungsvoll bleibt. 70 oder 80 Spiele im Jahr gehen nicht, das ist nicht machbar. Aber wir werden eine Lösung finden."

Wird es in diesem Jahr noch ein Länderspiel geben?

Der Herbst ist noch in guter Ferne. Bis dahin kann sich noch sehr viel positiv entwickeln. Deswegen glaube ich fest daran, dass wir einen relativ normalen Länderspielherbst haben können. Wir haben viele Spieler, die in Deutschland spielen. Daher ist es einmal wichtig, dass es hier weitergeht.

Es gelten aber auch in Deutschland strikte Maßnahmen. Womöglich werden Sie zu Quarantänezwecken kaserniert, sind wochenlang von Ihrer Familie getrennt. Wie geht man als Profi damit um?

In letzter Zeit war ich immer mit meiner Frau und meinen Kindern zusammen, das war sehr wohltuend. Wir haben das Allerbeste daraus gemacht. Was uns genau vorgegeben wird, ist noch nicht ganz klar. In acht Wochen (bis zum geplanten Saisonende, Anm.) kann sich noch viel tun. Wenn eine Maßnahme besteht, heißt das nicht, dass sie dann für die nächsten acht Wochen bestehen bleibt.

Woher nehmen Sie die Zuversicht?

Ich glaube schon, dass sich die Situation allgemein gut entwickelt - in Deutschland und auch in Österreich. Es werden von Woche zu Woche mehr Lockerungen möglich sein. Ich hoffe, dass es dann auch bei uns im Fußball positiv weitergeht. Vielleicht können wir alle - nicht nur der Fußball - bald wieder in eine relativ normale Zukunft blicken.

Die Spiele werden aber nur ohne Zuschauer stattfinden können. Wie groß ist dieser Wermutstropfen?

Sehr groß. Wir haben jetzt neun Spiele, die es ohne Zuschauer zu überstehen gilt. Wer weiß, vielleicht können wir in der nächsten Saison sukzessive wieder einige in die Stadien bringen. Nichtsdestotrotz ist es das geringere Übel. Hätten wir ganz abgebrochen, wäre die Bundesliga existenziell bedroht gewesen. Nochmals, es wird schwierig und es tut uns auch weh. Wenn unsere Fans nicht kommen dürfen, dann verändert das den Sport. Aber wir werden trotzdem das Beste daraus machen. Es hilft nichts.

Der "kicker" hat Sie vor zwei Wochen in der Liste der meistunterschätzten Bundesligaspieler aufgeführt. Warum ist das so?

Wenn man mannschaftsdienlich im defensiven Bereich spielt und dazukommt, dass ich in meiner Karriere nie der große Goalgetter war, kann das passieren. Ich habe das Tor als persönliches Ziel zu selten auf dem Schirm gehabt. Ich versuche der Mannschaft immer zu helfen, bevor ich einen vermeintlich unnötigen Abschluss suche. Ich fühle mich und meine Leistung in den letzten Jahren trotzdem fast überall wertgeschätzt.

Innerhalb einer Mannschaft oder eines Vereins setzt man sich damit oft viel differenzierter auseinander. Wie steht es um die öffentliche Wahrnehmung in Deutschland und in Österreich?

Vielleicht hat das mit der Erfahrung zu tun, dass man das nicht mehr ganz so hoch hängt. Es ist menschlich, dass man geschätzt werden will, Lob erwartet, wenn man etwas gut macht. Ich bin sehr selbstkritisch und weiß, wenn ich ein gutes oder ein schlechtes Spiel gemacht habe. Wenn man über Jahre auf höchstem Niveau konstant seine Leistungen bringt, ergibt sich vieles von alleine. Ich fühle mich schon respektiert.

apa

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