23.07.2020 04:17 Uhr

Gefährliches Spiel? Der BVB in der Stürmer-Falle

Erling Haaland ist der einzige Angreifer im Kader von BVB-Trainer Lucien Favre
Erling Haaland ist der einzige Angreifer im Kader von BVB-Trainer Lucien Favre

Dass der BVB mit nur einem gelernten Stürmer in eine Saison startet, hat beinahe schon Tradition. Auch im aktuellen Kader steht mit Erling Haaland gerade mal eine "echte Neun". Dabei sah Hans-Joachim Watzke das Fehlen eines zweiten Stürmers in der letzten Spielzeit noch äußert kritisch.

"Wir hätten eine zweite Nummer neun verpflichten müssen", bewertete Watzke im Dortmunder Krisen-Herbst 2019 (zwei Siege aus acht Spielen) das große Versäumnis seines Klubs ungewohnt selbstkritisch: "Das haben wir falsch analysiert - aber mehr als das einzugestehen, können wir nicht machen." Mit Blick auf die damalige Situation eine treffende Einschätzung. Aber wäre der Vizemeister mit Blick auf die Saison 2020/21 mit der Verpflichtung eines Back-up-Stürmers nicht besser beraten gewesen?

Denn dass Haaland die schwarz-gelben Offensivsorgen in der Rückrunde auf einen Schlag vergessen machte, täuschte ein wenig über die wahre Problemzone der Dortmunder hinweg.

Seit rund zweieinhalb Jahren fehlt dem BVB wahlweise ein konstant fitter und treffsicherer Stürmer sowie ein Alternativ-Spieler, der ihn im Falle einer Verletzung oder eines Formtiefs adäquat ersetzt.

Das Dilemma begann, als sich Pierre-Emerick Aubameyang im Januar 2018 zum FC Arsenal streikte. Nachfolger Michy Batshuayi verpasste nach anfänglichem Hype den Saisonendspurt verletzt.

Alcácers Abschied stellt BVB vor bekannte Situation

Ähnlich ging es Paco Alcácer, der im Sommer 2018 ins Ruhrgebiet wechselte. Seine zahlreichen (Joker-)Tore verliefen sich nach und nach in kleineren und größeren Verletzungen und Schmolllippen auf der Ersatzbank.

Mit Alcácer und Haaland hätte der BVB zwei unterschiedliche Spielertypen unter Vertrag gehabt, hätte auf verschiedene gegnerische Abwehrsysteme reagieren können. Doch im Januar flüchtete der Spanier geradezu zum FC Villarreal.

Nun hat Dortmunds Angriff mit Haaland wieder einmal eine alleinige Galionsfigur. Wie auch seine Vorgänger legte der Norweger furios los, traf in der Rückrunde bei 15 Einsätzen 13 Mal. In Spielen, die der 20-Jährige verpasste (1:0 gegen Hertha BSC) oder erst spät eingewechselt wurde (1:0 bei Fortuna Düsseldorf), machte sich die fehlende Alternative allerdings wieder bemerkbar.

Zu ideenlos und ohne Durchschlagskraft agierte Borussia Dortmund, wenn Thorgan Hazard, Julian Brandt oder Mario Götze (der den BVB ohnehin verlassen hat) auf der Neuner-Position agierten. Gerade gegen physisch starke Gegner fehlte den Schwarz-Gelben eine Haaland-Alternative.

Mega-Saison steht an - selbst Haaland braucht Regeneration

Die dürfte auch angesichts des straffen Zeitplans der kommenden Spielzeit notwendig werden. Die Bundesliga startet am 18. September in die neue Saison, die wegen der EM 2021 bereits im Mai beendet sein muss. Zu den gehäuften englischen Wochen der Bundesliga kommen noch die Champions League und der DFB-Pokal.

Auch Haaland als einziger Stürmer im Kader braucht Verschnaufpausen, Dortmund ergo, legt man dieses Kriterium zu Grunde, einen zweiten Knipser.

Ab November für den BVB spielberechtigt: Youssoufa Moukoko
Ab November für den BVB spielberechtigt: Youssoufa Moukoko

Die beste interne Lösung wäre, Marco Reus als Back-up-Angreifer einzuplanen. Schon in der vergangenen Hinrunde füllte der Kapitän diesen Posten durchaus erfolgreich aus. Doch Zwangspausen müssen beim 31-Jährigen eingeplant werden. Von den letzten vier Spielzeiten absolvierte Reus gerade mal eine einzige ohne längere Ausfallzeit. Der Saisonauftakt ist jetzt schon wieder in Gefahr, berichtet die "Sport Bild".

Alternativ ist ab November der als Wunderkind gefeierte und dann 16 Jahre alte Youssoufa Moukoko in der Bundesliga spielberechtigt. Der Deutsch-Kameruner soll bereits in der Vorbereitung in die Profi-Mannschaft integriert werden. Vorsicht ist aber auch hier geboten, schließlich handelt es sich bei Moukoko um einen Teenager, den der Klub nicht verheizen will und darf.

Immerhin: Für den Fall der Fälle kann der BVB Haaland mit ein wenig Geduld und Vertrauen in die eigenen Jugendreihen ersetzen. Einen 1:1-Ersatz darf aber niemand im Klub erwarten. Dieser wäre wohl nur außerhalb des Vereins zu finden gewesen.

BVB hat kaum noch Spielraum auf dem Transfermarkt

Externe Lösungen sind im Moment allerdings kaum zu realisieren. Die 23 Millionen Euro, die Dortmund in Jude Bellingham investierte, haben den Spielraum für weitere Transfers in Zeiten von Corona deutlich geschmälert. Die Variante, Alexander Isak per Rückkaufoption in Höhe von 30 Millionen Euro zurückzuholen, fällt dadurch aus.

Unter dem Strich ist der BVB mit Haaland in der Spitze besser aufgestellt als noch in der letzten Saison. Der Norweger ist spielerisch vielseitiger als sein Vorgänger Alcácer, wirkt darüber hinaus schon nach einem halben Jahr besser integriert als der Spanier nach knapp eineinhalb Jahren.

Ein erneutes Wagnis ist die Ein-Mann-Konstellation im Sturmzentrum des BVB dennoch. Stand jetzt sieht es danach aus, als stufe der Vizemeister das resultierende Risiko nicht allzu hoch ein. Das ist nicht ungefährlich. Ganz ähnlich lautete auch die Einschätzung vor rund einem Jahr. Wenige Monate später war es dann zu spät, um zu reagieren.

Tom Kühner

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