04.12.2020 17:16 Uhr

Zidane kämpft gegen sein königliches Inferno

Zinédine Zidane hat bei Real Madrid einen schweren Stand
Zinédine Zidane hat bei Real Madrid einen schweren Stand

Real Madrid steht in der Champions League am Abgrund. Den Königlichen droht erstmals in der Vereinsgeschichte das Aus in der Gruppenphase. Das dürfte auch für Zinédine Zidane nicht ohne Folgen bleiben. Der richtet nun einen dringenden Appell an seine Mannschaft.

Die Einsicht von einst, die mag sich bei Zinédine Zidane dieser Tage nicht durchsetzen. Einst, das war der 31. Mai 2018. Fünf Tage zuvor hatte der Trainer mit seiner Mannschaft die Champions League gewonnen. Zum dritten Mal in Serie. Eine erdrückende europäische Dominanz, erspielt durch ein kurioses 3:1 gegen den FC Liverpool. Es war das Spiel, das den Torwart Loris Karius zur tragischsten Figur des Jahres machte. Zweimal patzte der Keeper gegen Real Madrid fatal. Monate später wurde bekannt, dass er nach einem Ellenbogenschlag der königlichen Abwehrkante Sergio Ramos eine Gehirnerschütterung erlitten hatte. Zu seiner Reputation trug das medizinische Beweismittel indes nicht bei.

Am 31. Mai 2018 befand Zidane schließlich: Es reicht. Die Mannschaft brauche fortan einen neuen Impuls um weiter erfolgreich zu sein. Es brauche eine neue Ansprache, eine andere methodische Arbeit. Zidane trat zurück. Er überraschte den Klub, er überraschte die Fußball-Welt. Die Königlichen, denen auch noch Cristiano Ronaldo abhandenkam, sie verloren auf einen Schlag Hirn und Herz - und eierten fortan durch die Wettbewerbe. Zidanes Nachfolger Julen Lopetegui scheiterte bereits nach 14 Pflichtspielen (!) - inklusive eines krachenden 1:5-Debakels im "Clásico" gegen den FC Barcelona. Nicht viel besser erging es Santiago Solari, auch er konnte die taumelnden Galaktischen nicht stabilisieren.

Es brauchte eine neue Ansprache, eine andere methodische Arbeit - also kehrte der "beste Trainer der Welt" zurück. Nur 284 Tage nach seinem Abgang war Zinédine Zidane wieder der Chef. Er übernahm ein Team zwischen Auflösungserscheinungen und offener Rebellion. Und auch wenn er vergangene Saison mit königlicher Perfektion aus der Corona-Zwangspause zur Meisterschaft sprintete, der Heilsbringer, den die Madrilenen in ihm gesehen haben, war er nicht. Und dieser Tage, anderthalb Jahre nach seiner Rückkehr, ist jede Euphorie verflogen. Die Mannschaft quält sich durch die heimische Liga, steht als Tabellenvierter aber immerhin noch vor dem ebenfalls arg kriselnden Erzrivalen FC Barcelona - auch wenn der mit einem Spiel Rückstand noch nach Punkten gleich- und nach Toren vorbeiziehen kann.

"Muss man Charakter zeigen"

Existenzbedrohender für die Zukunft von Zidane wäre aber das Aus in der Gruppenphase der Champions League. Das hat es in Madrid noch nie gegeben. Und es dürfte nicht ohne Folgen für den Trainer bleiben. Für das sichere Weiterkommen braucht Real gegen Borussia Mönchengladbach unbedingt einen Sieg. Doch vorher steht noch ein schweres Auswärtsspiel beim FC Sevilla (Samstag, 16:15 Uhr im Liveticker bei ntv.de und sport.de) an. Und dieses Spiel erhebt Zidane zum Mentalitätstest für seine Mannschaft. "In schwierigen Zeiten muss man Charakter zeigen", sagte Zidane: "Ich habe die Kraft, um die Situation zu ändern und ich werde alles dafür geben - genau wie die Spieler."

Zidane will kämpfen, die Einsicht, jemand anderes könnte es besser machen, die hat er nicht. Nach der 0:2-Blamage in dieser Woche in der Königsklasse bei Schachtjor Donezk schloss er einen vorzeitigen Abgang aus. Ich werde nicht zurücktreten, ganz und gar nicht", murmelte er nach dem Spiel in ein TV-Mikrofon, "wir müssen diese Situation durchstehen." Es habe in diesem Verein immer "heikle Momente" gegeben. "Wenn es eine schlechte Phase gibt, bleibt keine andere Wahl, als sich gegenseitig zu helfen."

In spanischen Medien wird jedoch bereits heftig darüber spekuliert, dass Zidane selbst ein Weiterkommen in der Champions League nicht reichen könnte. Und nach der Partie gegen Mönchengladbach wartet mit dem Derby Madrileno gegen Atlético gleich das nächste Schicksalsspiel auf den angeschlagenen Coach. Es seien "die schlimmsten Momente" für Zidane in Madrid, schreibt die Sportzeitung "AS". Diese Leichtigkeit, mit der er die drei Champions-League-Titel als Real-Coach gewann? Längst verflogen.

Bei der Analyse der Krise steht allerdings auch die Personalplanung des Klubs im Fokus: Den Verlust von Ronaldo konnte Real noch immer nicht kompensieren. Eden Hazard (er kam vor der vergangenen Saison vom FC Chelsea), der eigentlich die Rolle der zentralen Figur übernehmen sollte, ist dies bislang nicht gelungen. Der Belgier verzeichnet in anderthalb Jahren in Madrid bislang fast so viele Verletzungen (neun) wie Tore und Vorlagen (zehn). Hinzu kommt, dass Schlüsselpositionen seit Jahren nicht neu besetzt wurden. Nachfolger für Toni Kroos, Luka Modric oder auch Sergio Ramos wurden nicht aufgebaut. Statt frischer Gier ist da viel Sättigung im (immer noch luxuriösen) Kader. Laut "Marca" sollen Teile dessen allerdings mittlerweile das Vertrauen in den Trainer verloren haben.

Dessen potenzielle Nachfolger werden bereits gehandelt. Favorit ist laut "Marca" der frühere Tottenham-Coach Mauricio Pochettino. Auch Real-Legende Raúl soll zu den Kandidaten gehören. Doch an diese Dinge will Zidane noch nicht denken. Die Einsicht, dass es eine neue Ansprache braucht, die teilt er nicht.

Tobias Nordmann

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