02.11.2022 12:26 Uhr

Ein "Killer" fehlt: Khedira legt Finger in DFB-Wunde

Sami Khedira hat sich zur anstehenden WM geäußert
Sami Khedira hat sich zur anstehenden WM geäußert

2014-Weltmeister Sami Khedira befürchtet im Zuge der Fußball-WM in Katar einige verletzte Spieler. Körperlich mache es keinen Unterschied, ob das Turnier in der Vorweihnachtszeit stattfindet.

"Ich sehe das ganz große Problem in der mentalen Belastung", sagte Khedira im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst.

Die Spieler müssten "mitten in der Saison umswitchen zwischen Klubfußball mit Champions League und Nationalmannschaft. Danach dann wieder direkt ins Tagesgeschäft zu wechseln, das wird die große Kunst sein. Da werden wir die eine oder andere Verletzung sehen, weil es total anstrengend ist, so große Wettbewerbe in so einem kurzen Zeitraum zu spielen", so Khedira, der die WM als ARD-Experte begleiten wird.

Im Sommer, meinte der Ex-Nationalspieler, hätten die Profis drei, vier Wochen Vorbereitungszeit - "jetzt geht es sofort los. Und dann wieder zurück. Das wird die größte Herausforderung, davor habe ich Sorge."

Dem deutschen Team traut Khedira "mindestens das Halbfinale" zu. "Wir haben den besten Torhüter der Welt. Und auch im Mittelfeld mache ich mir keine Sorgen. Dazu haben wir gute Stürmer, doch die Chancenverwertung ist ein großes Thema", so der 35-Jährige.

Deutschland verfüge über "Top-Spieler, aber der klassische Neuner, der Klose-Typ, der Killer vor dem Tor, der fehlt uns. Das wird uns am Ende vielleicht den Titel kosten und dazu führen, dass wir nicht ganz dahin kommen, wohin wir wollen." Leroy Sane, Timo Werner, Serge Gnabry und Kai Havertz seien "geile Zocker, die auch Tore schießen können, aber die Killer wie Harry Kane oder Miro Klose damals haben wir nicht. Das ist der einzige richtige Schwachpunkt, den wir vielleicht haben."


Das gesamte Interview des SID mit Sami Khedira

"Sami Khedira, nur wenige Wochen sind es noch bis zur WM. Freuen Sie sich auf das Turnier in Katar?"

Sami Khedira: "Für mich persönlich ist eine WM das Beste, was du schauen kannst. Und auch das Beste, was du als Fußballer spielen kannst. Jeder träumt davon, an einem so großen Turnier wie einer Weltmeisterschaft teilzunehmen. Auch wenn es diesmal eine etwas andere WM ist, freue ich mich darauf und habe richtig Bock drauf, ja."

"Anders ist das Stichwort. In vielerlei Hinsicht. Das Turnier wird von Korruptionsvorwürfen, Rassismus und Menschenrechtsverletzungen begleitet. Was halten Sie von Protestaktionen von Spielern und Teams wie die bunte Kapitänsbinde oder auch das schwarze Trikot der Dänen?"

"Wenn der dänische Verband ein Zeichen setzen will, dann ist das gut. Aber die Spieler sehe ich nicht in der Pflicht. Sie brauchen nicht zu schweigen, müssen aber auch keinen Lautsprecher rausholen. Sie sind Sportler, oft ganz junge Menschen. Natürlich müssen die gesellschaftlich relevanten Themen angesprochen werden, aber nicht von den Spielern. Dafür haben wir Politiker. Da könnte die WM einen Anschub für bestimmte Entwicklungen liefern."

"Ein anderes Thema ist die enorme körperliche Belastung für die Spieler. Eine WM in der Vorweihnachtszeit, dazu inmitten der Saison - wie sehen Sie das?"

"Die spielerische Belastung ist für die Nationalspieler genau dieselbe. Körperlich macht das keinen Unterschied, wann eine WM stattfindet. Ich sehe das ganz große Problem in der mentalen Belastung. Die Spieler müssen mitten in der Saison umswitchen zwischen Klubfußball mit Champions League und Nationalmannschaft. Danach dann wieder direkt ins Tagesgeschäft zu wechseln, das wird die große Kunst sein. Da werden wir die eine oder andere Verletzung sehen, weil es total anstrengend ist, so große Wettbewerbe in so einem kurzen Zeitraum zu spielen. Im Sommer haben wir drei, vier Wochen Vorbereitungszeit - jetzt geht es sofort los. Und dann wieder zurück. Das wird die größte Herausforderung, davor habe ich Sorge."

"Wird das Niveau darunter leiden?"

"Das sehe ich nicht so, da werden der Fokus und das Adrenalin schon für sorgen. Das Problem sehe ich, wenn wir wieder rauskommen aus der Weltmeisterschaft. Die jetzige Situation teilt die Saison quasi in zwei ganz unterschiedliche Hälften."

"Zurück zur WM: Wen haben Sie auf dem Zettel?"

"Wer für eine kleine Überraschung sorgen könnte, ist Senegal. Sie haben nicht die Topspieler wie Frankreich, England oder Deutschland, die jede Woche im Fokus stehen. Aber sie können eventuell weiter kommen, als manche denken. Eventuell könnte auch Tunesien für eine kleine Überraschung sorgen."

"Wer ist Ihr Favorit?"

"Es gibt in diesem Jahr nicht das eine Team wie Frankreich 2018, wo der Trend schon auf Frankreich hingedeutet hat. Brasilien ist unheimlich stark, und natürlich gehören die üblichen europäischen Mannschaften wieder dazu. Frankreich hat vielleicht die besten Spieler, aber die deutsche Mannschaft ist vor allem als Team nicht arg viel schlechter."

"Wie schätzen Sie das DFB-Team ein?"

Khedira: "Wir haben den besten Torhüter der Welt. Und auch im Mittelfeld mache ich mir keine Sorgen. Dazu haben wir gute Stürmer, doch die Chancenverwertung ist ein großes Thema. Wir haben Top-Spieler, aber der klassische Neuner, der Klose-Typ, der Killer vor dem Tor, der fehlt uns. Das wird uns am Ende vielleicht den Titel kosten und dazu führen, dass wir nicht ganz dahin kommen, wohin wir wollen. Mit Sane, Werner, Gnabry und Havertz haben wir geile Zocker, die auch Tore schießen können, aber die Killer wie Harry Kane oder Miro Klose damals haben wir nicht. Das ist der einzige richtige Schwachpunkt, den wir vielleicht haben."

"Könnte eine Berufung von Niclas Füllkrug da Abhilfe schaffen, sein Name wird derzeit heiß diskutiert?"

"Es gibt viele richtig gute Bundesligaspieler, die bis heute nicht nominiert worden sind. Hansi Flick ist da sehr klar. Er schaut nicht nach Namen oder Reputation. Er schaut, ob ein Spieler in sein System passt oder nicht. Da geht es nicht nur nach Tagesform. Es gibt unfassbar gute Zocker, die einfach nicht in ein bestimmtes System passen."

"Würde ein Bundestrainer Sami Khedira Füllkrug denn mitnehmen?"

Khedira: "Ich bin ein Freund davon, dass man lange auf einem bestimmten Niveau performt haben muss, um zu einer WM zu fahren. Was Werder leistet, ist sensationell, was Füllkrug leistet, ist richtig gut: Sie kommen aber aus der 2. Liga. Füllkrug spielt jetzt seit drei Monaten Bundesliga, auf internationalem Niveau hat er sich aber noch nicht bewiesen. Er ist für die Bundesliga ein richtig guter Stürmer, aber: Kann er sich auch gegen Top-Mannschaften durchsetzen? Vielleicht kann er es. Er muss es aber erstmal beweisen. Für mich wäre es ein Experiment, deswegen tendiere ich zu nein."

"Sehen Sie in Youssoufa Moukoko noch einen WM-Kandidaten?"

Khedira: "Er ist ein spannender Junge. Er könnte als Überraschung dabei sein. Aber: Ich kenne ihn nicht. Er muss mit dem Hype jetzt aufpassen und sich eine Nominierung mit Konstanz verdienen."

"Wer könnte deutscher WM-Star werden?"

Khedira: "Ich schwärme gerne von einzelnen Qualitäten, aber 2014 war das perfekte Beispiel, was man als Team erreichen kann. Einen Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi haben wir in Deutschland nicht. Wir sind einfach anders gestrickt von der Mentalität her. Und das finde ich gut. Deutschland hat Schwierigkeiten, Stars zu produzieren, aber was Deutschland kann, ist Top-Spieler, Top-Mannschaften und Erfolg produzieren. Was bringt es uns, wenn ein Joshua Kimmich Weltfußballer würde, wir aber auf dem dritten Platz landen."

"Kann Deutschland den Triumph von 2014 wiederholen?"

Khedira: "Wir hatten 2014 den ganz großen Vorteil, dass wir zwei große Generationen zusammenbekommen haben. Es hat auch mal gekracht, aber es war ein Miteinander. Unheimlich viel Erfahrung, gepaart mit Qualität und vor allem Charakter. Jeder wusste genau, welche Rolle er hatte und was genau er machen muss. Das ist bei der aktuellen Mannschaft noch nicht ganz so, was aber nicht heißt, dass sie es nicht auch schaffen können. Ich traue dem Team mindestens das Halbfinale zu."

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