08.08.2015 08:00 Uhr

"Schneckerl" Prohaska ist 60

Herbert Prohaska mit seinem Alter Ego im Wachsfigurenkabinett
Herbert Prohaska mit seinem Alter Ego im Wachsfigurenkabinett

Herbert Prohaska hat es von Simmering aus an die Spitze des Fußballsports geschafft: Jahrhundert-Fußballer von Austria Wien und des ÖFB. Sieben Mal Meister als Spieler, zwei Mal als Trainer. Meister und Cupsieger in Italien. Letzter Teamchef, der Österreich zu einer (WM-)Endrunde führte. Am Samstag feiert die Legende ihren 60. Geburtstag.

Sagen wir einmal so, wäre der Fußball in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren ähnlich kommerzialisiert gewesen wie heute, Herbert Prohaska hätte vermutlich an der Seite von Michel Platini, Karl-Heinz Rummenigge oder Dino Zoff vom neuesten Cover des FIFA-Konsolenspiels gelacht, Lockenperücken wären im Fanshop seines Klubs ein Kassenschlager gewesen.

Andere Zeiten, anderer Fußball. "Früher konnten wir nach einem Sieg schon mal bis spät in die Nacht feiern", brachte Prohaska erst unlängst in einem Interview mit dem "Kurier" einen der vielen Unterschiede zum heute durchgestylten und athletisierten Sport auf den Punkt. Ein weiterer nicht unwesentlicher Gegensatz zur gegenwärtigen rot-weiß-roten Kicker-Generation: Herbert Prohaska verbrachte anders als David Alaba viele seiner Blütejahre in der heimischen Bundesliga. Österreichs Fußballfans konnten ihm an jedem Wochenende im Stadion auf die Beine sehen, nicht nur bei Länderspielen, via TV oder Instagram.

Ein Vergleich der Generationen wäre selbstverständlich unfair. Aber wer sah, wie präzise die Hereingaben von Herbert Prohaska noch beim Hundert-Jahre-Spiel der Austria (2011) gegen eine Weltauswahl um Figo, Ronaldo und Dejan Stankovic Stürmer Toni Polster fanden, ist sich sicher, dass Schneckerl auch heutzutage (s)einen Weg gemacht hätte. Technik und Können sind zeitlos.

Früher - wie das schon klingt - wurde der Beruf des Profifußballers nicht in Akademien erlernt, dem metaphorischen goldenen Käfig. Der Nachwuchs lernte seine Tricks im tatsächlichen Käfig, der oft verklärten Keimzelle der Technik-betonten Wiener Spielweise.

Einer der vielen "Käfigkicker", der am 8. August 1955 geborene Herbert Prohaska, sollte eine steile Karriere hinlegen, die ihn vom Amateurfußball in die Serie A und zu Weltmeisterschaften führen sollte. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen in der Hasenleiten auf, ein raues Pflaster im Wiener Arbeiterbezirk Simmering, verbrachte dank liebevoller Eltern auch ohne Fernseher, Auto und Telefon eine glückliche Kindheit. "Bertis" erster Klub war Vorwärts XI. Von dort wechselte er bald zu Ostbahn XI, schon mit 15 debütierte Prohaska in der Kampfmannschaft des Unterhaus-Klubs.

Prohaska zur Austria - ein Glücksfall

Das große Talent, wegen seiner Haarpracht "Schneckerl" gerufen, blieb nicht unentdeckt. Die Austria, Wacker Innsbruck und Austria Salzburg rissen sich um die Dienste des 17-jährigen Mechanikerlehrlings. Auch Prohaskas damaliger Lieblingsklub war im Rennen. Rapid verbaute sich die Chance allerdings selbst. Nicht nur, weil der damalige Trainer Ernst Hložek ihn bei den Verhandlungen beharrlich mit Pauli ansprach, sondern weil die Hütteldorfer den Herbert generell herablassend behandelten. Prohaskas Entscheidung fiel 1972 gegen lukrative Angebote aus Westösterreich und zugunsten der Austria.

Dass die legendären Funktionäre Norbert Lopper und Joschi Walter den jungen Prohaska zur Austria lotsen konnten war ein schicksalshafter Moment für beide Seiten. Schneckerl sollte nämlich nicht irgendein Spieler im violetten Dress mit der Nummer Acht werden.

>> SLIDESHOW: 60 Jahre Schneckerl - Herbert Prohaska in Bildern

Auf dem Spielfeld war Prohaska kein einfacher Charakter und flog regelmäßig vom Platz. Austria-Trainer Karl Stotz sollte das mit Schiedsrichter-Kritik nie sparsame Talent schließlich auf die richtige Bahn führen. Prohaska verkörperte als genialer Mittelfeldregisseur in den folgenden Jahren den Spielstil der Veilchen wie kaum jemand zuvor und wurde das Aushängeschild der wohl besten Austria-Ära: Insgesamt sieben Meistertitel und vier Cupsiege stehen in Österreich zu Buche, international gelangen mit dem Finale im Europacup der Cupsieger 1978 und dem Semifinale im Meistercup 1979 herausragende Erfolge.

Abseits des Rasens glänzte Herbert Prohaska mit der Austria auf dem Parkett seines "zweiten Wohnzimmers" in der Wiener Stadthalle. Das Hallenturnier konnte sechs Mal gewonnen werden. Sogar zehn Mal wurde Prohaska zum Spieler des Turniers gewählt.

Prohaska geigt in der Serie A auf

Viele internationale Klubs bemühten sich zuerst vergeblich um Herbert Prohaska, im Sommer 1980 wagte er dann den Schritt ins Ausland. Die Serie A hatte ihre seit 1966 bestehende Ausländersperre aufgehoben. Der frisch gebackene italienische Meister Inter verpflichte Prohaska um damals 13 Millionen Schilling als ersten Legionär. Das zweijährige Gastspiel wurde mit dem Sieg in der Coppa Italia (1982) gekrönt, dazu erreichten die Nerazzurri das Semifinale im Meistercup und gewannen die inoffizielle Klub-WM.

Welchen Status Schneckerl im fußballverrückten Italien genoss, illustriert eine Anekdote aus der zu seinem 50. Geburtstag erschienen Biographie:

Familie Prohaska fand sich eines Abends wie gewohnt zum Essen in ihrem Mailänder Stammlokal ein. Auf einem der Nachbartische saß der berühmte Sänger und Schauspieler Adriano Celentano. Auf Anraten seiner Frau Elisabeth verzichtete Herbert Prohaska darauf, den Star zu behelligen. Doch dann kam der Kellner zum Tisch: "Entschuldige die Störung. Herr Celentano ist ein großer Fan von Inter und lässt fragen, ob du ein Foto bei dir hast. Er würde dich gerne um ein Autogramm bitten."

Inter gab Prohaska im Sommer 1982 an Roma ab und holte neue Legionäre. Ein Glücksfall, denn der Hauptstadt-Klub schrieb in der Saison 1982/83 Geschichte und schnappte dem Starensemble von Juventus überraschend die Meisterschaft weg. Für Roma war es der erst zweite Scudetto seit 1942. Mit seinem größten Erfolg in der Tasche kehrte Herbert Prohaska aber etwas unfreiwillig früh nach Österreich zur Austria zurück. Italien bleibt er bis heute verbunden.

Schneckerls Herzblut floss jedoch nicht nur in "seine" Austria, sondern auch ins Nationalteam, für das er bereits mit 19 debütierte. Insgesamt wurden es 83 Länderspieleinsätze und zehn Tore. Bedeutende Momente der ÖFB-Geschichte sind untrennbar mit dem Namen Prohaska verbunden. Sei es der "Spitz von Izmir" gegen die Türkei, der die Qualifikation für die WM 1978 fixierte. Sei es der legendäre, aber letztlich unwichtige 3:2-Erfolg nach 0:2-Rückstand in Cordoba gegen Titelverteidiger Deutschland bei der Endrunde in Argentinien oder die "Schande von Gijon" bei der WM 1982.

Bei beiden WM-Endrunden gelang Prohaska und Co. der Aufstieg in die zweite Gruppenphase. Österreich war nach Jahren wieder in Schlagdistanz zur Weltspitze. Gegen Karriereende half Herbert Prohaska sogar noch bei der Qualifikation für die WM 1990 aus. In Italien gehörte der frühere Serie-A-Legionär aber nur noch als Attaché zum Teamtross.
>> Alle Spiele Prohaskas im ÖFB-Teamdress

Prohaska setzt Erfolg als Trainer fort

Der Wechsel ins Trainermetier erfolgte fliegend. Nach dem Karriereende als Sportlicher Leiter engagiert, beerbte Herbert Prohaska bereits im März 1990 Erich Hof als Trainer der Wiener Austria und führte die Veilchen 1991 zum Meistertitel und im Jahr darauf zum Double. Nach dem plötzlichen Tod von Joschi Walter 1992 wurde der Verein zu einer regelrechten Schlangengrube, Prohaska verließ den Klub und wurde vom ÖFB zum U21-Teamchef gekürt.

Nachdem Ernst Happel seinem Krebsleiden erlegen war, folgte Herbert Prohaska dem "Wödmasta" 1993 als Teamchef der A-Nationalmannschaft nach. Die folgenden sechs Jahre verliefen wie auf der Hochschaubahn. Die WM 1994 wurde in einer extrem starken Gruppe mit dem späteren Dritten Schweden und Vierten Bulgarien verpasst. Frustriert aufgrund der mangelnden Erfolge bot Prohaska dem damaligen Verbandsboss Beppo Mauhart seinen Rücktritt an. Er lehnte ab und die Trendwende gelang.

Prohaska formte eine Mannschaft, die das Ticket zur Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich löste. Dort holte das ÖFB-Team zwei Remis gegen Kamerun und Chile und verlor gegen Italien. In der FIFA-Weltrangliste schaffte es Österreich auf Platz 17, der erst im Juli 2015 als Bestwert im seit 1993 geführten Ranking abgelöst wurde. Dem Höhenflug folgte eine Bruchlandung. Im März 1999 ging Österreich gegen Spanien in Valencia mit 0:9 unter. Prohaska trat nach der historischen Blamage als Teamchef zurück.

Die darauf folgende Rückkehr auf die Trainerbank der Austria blieb eine kurze Episode. Der austrokanadische Milliardär Frank Stronach war bei den Veilchen eingestiegen, bis zum Bruch dauert es nicht lange. Aus "Schneck is back" wurde rasch "Schneck ist weg". Die Demontage der Klublegende haftete der ungeschickten Magna-Ära stets als großer Sündenfall an.

Dritte Karriere als TV-Experte

Prohaska selbst hatte genug vom Dasein als Trainer und wechselte das Fach. Seit 2000 erklärt er beim ORF den Fußball grundsätzlich und prinzipiell, mitunter auch grammatisch eigenwillig, und befüllt nebenher eine Kolumne in der "Krone". Kurzum, auch als Analytiker wurde Schneckerl über die Jahre eine Institution, wenngleich er mit seinen Expertisen nicht immer richtig liegt.

Als der bis zu diesem Zeitpunkt in Österreich weitgehend unbekannte Schweizer Marcel Koller zum Teamchef berufen wurde, meldete sich Prohaska besonders kritisch zu Wort. Er hätte lieber einen Österreicher als seinen Nach-Nachfolger gesehen. "Andi Ogris könnte den FC Barcelona, Real Madrid und jeden auf der Welt trainieren." Dieser Hinweis auf die Trainerausbildung seines "Haberers", dem im ÖFB-Nachwuchs ein Job verweigert wurde, brannte sich ins öffentliche Gedächtnis. Erstmals war das sonst so positive öffentliche Image von Schneckerl richtig angekratzt.

Kritisch wird seither Prohaskas Agieren beäugt, sobald es für seine (zahlreichen) Freunde um Jobs geht, wie zuletzt bei Franz Wohlfahrts Berufung zum Austria-Sportdirektor. Dabei hatten gerade sie an Prohaskas Trainer-Entscheidungen besonders zu kiefeln. Ogris verlor die Kapitänsschleife im ÖFB-Team, Wohlfahrt seinen Platz im Tor an Michael Konsel und Manfred Zsaks Wunsch nach Länderspiel Nummer 50 blieb unerfüllt.

"Er wird sich an den Leistungen seiner Vorgänger messen müssen", war ein anderer, seriöserer Diskussionsbeitrag zur Teamchef-Debatte. Prohaska hielt sich an seine Wortspende. Längst fordert auch er eine Vertragsverlängerung mit Koller. Immerhin hat dieser aus einer talentierten Kicker-Generation auch eine erfolgreiche Mannschaft geformt, die den "78ern" um Prohaska, Krankl, Pezzey und Co letztenendes um nichts nachstehen wird.

Schneckerl erhielt als Jahrhundertfußballer der Austria und des Österreichischen Fußball-Bundes zwei herausragende Auszeichnungen. "Ich will aus Respekt vor vielen anderen Spielern, die in diesen hundert Jahren für Austria gespielt haben, von niemandem hören, dass ich der Jahrhundert-Fußballer bin. Ich bin dazu gewählt worden. Ich bin nur mit fantastischen Mitspielern das geworden, was ich bin", erklärte Herbert Prohaska bei seiner Dankesrede auf der 100-Jahre-Gala der Wiener Austria.

Auch wenn die riesige Lockenpracht und der Schnauzbart längst passé sind, seine Bescheidenheit hat Schneckerl in all den erfolgreichen Jahren nicht eingebüßt; vielleicht die größte Leistung und ein Beispiel für die Kicker-Generation, die sich selbst auf der Playstation spielen kann.

Wir wünschen Herbert Prohaska alles Gute zu seinem 60. Geburtstag!

Mehr dazu:
>> SLIDESHOW: 60 Jahre Schneckerl - Herbert Prohaska in Bildern
>> Die Vereinsspiele von Herbert Prohaska im Überblick

Sebastian Kelterer

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