07.11.2015 10:33 Uhr

Jamie Vardy: Besser spät als nie

Jamie Vardy rockt die Premier League
Jamie Vardy rockt die Premier League

Leicester Citys Torjäger Jamie Vardy ist trotz seiner schon 28 Jahre der Newcomer der aktuellen Premier-League-Saison – und aktuell sogar einer der treffsichersten Stürmer Europas. Sein Werdegang erzählt die außergewöhnliche Geschichte eines Schichtarbeiters und verurteilten Straftäters, der zum Nationalspieler wurde.

Wenn die Fans von Leicester City ihrem Publikumsliebling nach einem Tor huldigen, dann klingt das so: "Jamie Vardy is having a Party, bring your vodka and your charlie". 'Charlie' bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als Kokain.

In letzter Zeit schallt der Vardy-Party-Song in den Stadien der Premier League mit schöner Regelmäßigkeit von den Rängen. Elf Treffer hat der Besungene nach ebenso vielen Spielen bereits erzielt und führt damit die Torjägerliste der höchsten englischen Spielklasse souverän an.

Mehr noch: Abgesehen von den Bundesliga-Bombern Aubameyang und Lewandowski hat in den fünf europäischen Top-Ligen kein Spieler so häufig ins Schwarze getroffen wie der 28-Jährige, der aus der Arbeiterstadt Sheffield stammt und so gar nicht den typischen Lebenslauf eines Profifußballers im 21. Jahrhundert vorzuweisen hat.

Fast Food und Haribo

Denn Vardy ist eigentlich einer, der früh durchs Raster des knallharten Geschäfts rund um die schönste Nebensache der Welt gefallen ist. Aus der Jugendakademie von Sheffield Wednesday wurde er im Alter von 16 Jahren entlassen. Zu schmächtig war der damals nur 1,40m kleine Jamie den Verantwortlichen des vierfachen englischen Meisters. Den Sprung ins Profigeschäft traute man ihm nicht zu.

Die Enttäuschung über das Aus bei Wednesday und das vermeintliche Platzen seines großen Traums vom Profidasein setzten Vardy zu. Sein Geld verdiente der Teenager nun in einer Carbonfaser-Fabrik. In zwölfstündigen Schichten schuftete er sich den Buckel krumm. Nebenher kickte er zunächst für die U18 und dann für die zweite Mannschaft des Kleinstadtklubs Stocksbridge Park Steels – unbezahlt, versteht sich.

Vardy ernährte sich überwiegend von Fast Food, auch Haribo-Süßigkeiten vertilgte er in rauen Mengen. Abends zieht er um die Häuser. "Er wollte das Leben genießen, ein bisschen Fußball spielen und mit seinen Jungs abhängen. Großen Ehrgeiz hatte er damals nicht", erinnert sich Stocksbridges Vereinsboss Allen Bethel im Gespräch mit dem "Mirror".

Kicken mit Fußfessel

Ausgerechnet im Sommer 2007, als Vardy mit 20 Jahren die Chance bekommt, ins erste Team der Steels aufzurücken, kam es richtig dick für ihn: Bei einem Kneipenbesuch geriet er in eine Schlägerei. Wie er danach erklärte, weil er einen gehörlosen Freund gegen Anfeindungen von anderen jungen Männern verteidigen wollte. "Das hat mir eine Menge Ärger eingebracht", sagt er.

Der Jungspund wurde verknackt. Ein halbes Jahr lang musste er eine elektronische Fußfessel tragen und bekam eine Ausgangssperre für die Zeit nach sechs Uhr abends aufgebrummt.

Fußball spielte er trotzdem, wenn auch häufig nicht über 90 Minuten. Um die Bewährungsauflagen zu erfüllen, musste Vardy regelmäßig bereits nach einer Stunde ausgewechselt werden. "Ich hoffte einfach, dass wir gewinnen würden, zog mich um und machte, dass ich wegkam", erzählt er.

Eine Million für einen Amateur

Doch der einschneidende Vorfall und seine Folgen hatten auch ihr Gutes: Sie ließen den jugendlich-leichtsinnigen Lebemann erwachsener werden.

Mit seiner ausgeprägten Kaltschnäuzigkeit vor dem gegnerischen Tor und seiner aufopfernden Spielweise machte der auch körperlich inzwischen deutlich robustere Vardy zudem eine Reihe ambitionierter Klubs auf sich aufmerksam. "Überall, wo er hinkam, warteten schon die Scouts", schildert Bethel.

Der Knipser kehrte Stocksbridge und der Fabrik den Rücken, konzentrierte sich ganz auf die Jagd nach dem runden Leder – und traf wie am Fließband. Für Halifax und Fleetwood erzielte er in zwei aufeinanderfolgenden Saisons insgesamt 60 Tore in den Ligen acht und fünf. Bei seinem Wechsel nach Leicester vor der Spielzeit 2012/2013 stellte Vardy mit einer Ablösesumme von einer Million Pfund plus Bonuszahlungen einen neuen englischen Amateurfußball-Rekord auf.

Teammanager als Karriere-Retter

Dass er sich beim damaligen Zweitligisten trotz großer Akklimatisierungsschwierigkeiten überhaupt durchsetzen konnte, verdankt Vardy vor allem Ex-Teammanager Nigel Pearson. Er glaubte an die Fähigkeiten des schon 25 Jahre alten Neu-Profis. Nach einer enttäuschenden Premierensaison mit nur vier Treffern brachte er den bei vielen Fans bereits als Fehleinkauf abgestempelten Stürmer sogar von Rücktrittsgedanken ab.

Danach spielte Vardy befreit auf. In seinem zweiten Jahr traf er 16 Mal und war damit maßgeblich an der Premier-League-Rückkehr der Mittelengländer beteiligt. Im Oberhaus legte er zwar nur fünf Saisontore nach, erzielte vier davon aber an den letzten acht Spieltagen und war so einer der Garanten für Leicesters Schlusspurt zum Klassenerhalt.

Plötzlich andere Sphären

Aktuell bewegen sich die Foxes und Vardy völlig unerwartet in ganz anderen Sphären. Die inzwischen von Claudio Ranieri gecoachte Mannschaft belegt auch dank der Leistungen ihres Goalgetters sensationell Rang drei.

Den italienischen Trainer-Routinier beeindruckt die fast schon unglaubliche Erfolgsgeschichte Vardys. "Seine Karriere beginnt eigentlich erst jetzt", meint der 64-Jährige: "Er kommt aus dem Amateurfußball, aber für ihn ist es noch nicht zu spät, das ganz, ganz hohe Level zu erreichen."

Das würde bedeuten, dass der Shooting Star auch international für Aufsehen sorgt. Die ersten Schritte sind gemacht: Vier Länderspiele hat Vardy schon absolviert und gilt als heißer Kandidat für den EM-Kader der Three Lions im kommenden Jahr. Auch Real Madrid hat angeblich schon mal angeklopft - nicht schlecht für einen, der schon vor langer Zeit aussortiert worden war.

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Tobias Knoop

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