05.12.2015 11:14 Uhr

Gary Neville: Chance und Risiko

Gary Neville steht in Valencia vor einer Mammutaufgabe
Gary Neville steht in Valencia vor einer Mammutaufgabe

Ausgerechnet Cheftrainernovize Gary Neville soll den kriselnden Spitzenklub FC Valencia wieder in die Spur bringen und in der Primera División von Rang neun zurück nach oben führen. Seine Verpflichtung hat vielschichtige Gründe und ist für ihn und den Klub Chance und Risiko zugleich.

Ein Unbekannter ist der Neue beim FC Valencia nicht. Es existiert ein Foto aus dem letzten Sommer. Darauf zu sehen: Gary Neville, sein Bruder Phil, seit dieser Saison Co-Trainer beim sechsfachen spanischen Meister, und Valencias Vereinspräsident Layhoon Chan. Die drei schlendern ins Gespräch vertieft über einen Rasenplatz im klubeigenen Trainingszentrum Paterna.

Wenige Monate später ist der ältere der Neville-Brüder zurück in der Millionenmetropole an der Ostküste Spaniens, diesmal in offizieller Funktion. Am Mittwoch gab Valencia die zunächst bis Saisonende geltende Inthronisierung des 40-Jährigen als Chefcoach und Nachfolger des gefeuerten Nuno bekannt.

Ziemlich überraschend kam die Personalie – und aufgrund der engen Verflechtung der Nevilles mit der Führungsentourage der Blanquinegros auch wieder nicht.

Enger Kontakt zum Klubeigner

Denn die beiden Brüder sind bereits seit längerem auf Du und Du mit Klubbesitzer Peter Lim. Der Milliardär aus Singapur pflegt enge Geschäftsbeziehungen mit Manchester Uniteds 'Class of '92', jenen Ex-Spielern des englischen Rekordmeisters also, die nach vielen gemeinsamen Erfolgen auf dem Platz nun als Unternehmer ins Fußballbusiness eingestiegen sind: Paul Scholes, Ryan Giggs, Nicky Butt und eben Gary und Phil Neville. Zusammen engagieren sich Lim und die United-Idole unter anderem beim Siebtligisten Salford City.

Der frühere Börsenmakler, so berichtet der englische "Guardian", stand spätestens seit dem Besuch in Paterna bereits in regelmäßigem persönlichem Austausch mit Gary Neville. Dass dabei nur übers Geschäft und nicht über die enttäuschende sportliche Situation des FC Valencia geredet wurde, ist nahezu ausgeschlossen. Zu sehr dürfte es den Investor wurmen, dass sein liebstes Spielzeug trotz Transferausgaben von mehr als 140 Millionen Euro nach mehr als einem Drittel der Saison in La Liga nur Rang neun belegt.

Mindestens in die Königsklasse

Was Lim sich von Neville erhofft, ist klar: die Rückkehr an die Spitze. Mindestens die Champions-League-Qualifkation soll es sein, alles andere ist für die Ansprüche des ehrgeizigen Geldgebers zu wenig.

Das sportliche Konzept von Neville, den Lim vor allem wegen des britischen, stark von dessen langjährigen Mentor Sir Alex Ferguson beeinflussten Fußballverständnisses schätzt, soll den allmächtigen Klubboss überzeugt haben. Die fehlende Trainer-Erfahrung des Hoffnungsträgers spielt für Lim offenbar nur eine untergeordnete Rolle.

Neville arbeitete zwar zuletzt als Assistenzcoach der englischen Nationalmannschaft, ist auf der Insel aber seit Jahren vor allem als TV-Experte bekannt. Eine verantwortliche Position bekleidete der mit der Erfahrung von über 400 Pflichtspielen für United und 85 Einsätzen für die Three Lions dekorierte frühere Außenverteidiger noch nicht.

Rückenwind aus der Heimat

Dennoch zeigte sich die englische Fußballprominenz in den letzten Tagen optimistisch, was das Gelingen von Nevilles Mission im Mestalla angeht. "Es ist der richtige Moment für ihn und ich stehe hundertprozentig hinter seiner Entscheidung nach Valencia zu gehen", ließ Ex-Chef und Nationaltrainer Roy Hodgson verlauten. Sir Alex höchstselbst schwärmte: "Gary hat viele Eigenschaften, die darauf hindeuten, dass er auch als Trainer erfolgreich sein wird. Seine Führungsqualitäten sind stark, er ist ehrlich und er arbeitet hart. Er hat keine Angst davor, große Entscheidungen zu treffen."

Fachlich scheint Neville über alle Zweifel erhaben, auch wenn er aufgrund seiner schonungslos geäußerten Meinung in der Vergangenheit schon das ein oder andere Mal mit Premier-League-Größen wie Arsène Wenger aneinander geraten ist. Nicht umsonst wurde er von der Jury der Royal Television Society zuletzt zwei Mal in Folge zum besten TV-Sportexperten gewählt. "Ich habe mich in diesem Job weiterentwickelt, habe vieles gelernt", sagt Neville selbst.

Mammutaufgabe mit gutem Kader

Nichtsdestotrotz wartet auf ihn angesichts der großen Ambitionen in Valencia direkt bei seinem ersten Engagement in der Rolle des Teammanagers, also als Trainer und Manager in Personalunion, eine echte Mammutaufgabe, eine "Herausforderung", wie er es selbst etwas vorsichtiger formuliert. Scheitern selbstverständlich nicht ausgeschlossen.

Zwar beträgt der Rückstand auf Platz vier nur fünf Punkte, jedoch ist das Leistungsniveau im oberen Tabellendrittel der höchsten spanischen Spielklasse insgesamt ausgeglichener als im letzten Jahr.

Andererseits verfügt Neville über eine, wie er selbst sagt, "talentierte Gruppe von Spielern" um Hochkaräter wie Weltmeister Shkodran Mustafi, Kapitän Dani Parejo und Torjäger Paco Alcácer. Das ein oder andere Milliönchen für Winterneuzugänge durfte Lim zudem locker machen, falls Neville danach verlangt. Klar ist auch: Funktioniert der Trainernovize in Valencia, stehen ihm früher oder später auch die Türen bei den ganz großen europäischen Klubs offen.

Zum Glück nicht gegen Barça

Heilfroh dürfte Neville darüber sein, dass sein neuer Arbeitgeber sein Debüt geschickt getimt hat. In der wohl aussichtslosen Partie gegen den brutal formstarken Spitzenreiter FC Barcelona (am Samstag ab 20:30 Uhr im weltfussball-Liveticker) steht zumindest offiziell noch Interimscoach Voro in der Verantwortung. Neville sitzt erst am kommenden Mittwoch im Champions-League-Spiel gegen Lyon erstmals auf der Bank.

Dort müssen die Spanier allerdings unbedingt punkten und gleichzeitig auf einen Ausrutscher von Gruppenkonkurrent Gent gegen Zenit St. Petersburg hoffen, um noch die K.o.-Runde der Königsklasse zu erreichen. Gleich Nevilles erstes Spiel als Valencia-Coach steht also unter demselben Motto wie sein gesamtes Engagement in Spanien: Es ist eine Chance, aber auch ein Risiko.

Mehr dazu:
>> der 14. Spieltag im Überblick

Tobias Knoop

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