03.11.2016 09:40 Uhr

ÖFB muss endlich zurück in Realität

ÖFB-Sportdirektor Willibald Ruttensteiner und Teamchef Marcel Koller im intensiven Gespräch
ÖFB-Sportdirektor Willibald Ruttensteiner und Teamchef Marcel Koller im intensiven Gespräch

Der ÖFB setzte mit seinen Reaktionen nach der Pleite im WM-Qualifikationsspiel in Serbien dort fort, wo er bereits bei der Analyse nach der völlig verpatzten Europameisterschaft in Frankreich begonnen hatte. Das vorentscheidende WM-Qualifikationsspiel gegen Irland am 12. November (ab 18:00 Uhr im weltfussball-Liveticker) wird für die sportliche Führung der österreichischen Nationalmannschaft deshalb zur Stunde der Wahrheit.

Es grenzt an Realitätsverweigerung in Reinkultur, wie sich Teamchef Marcel Koller und Sportdirektor Willibald Ruttensteiner seit dem EM-Debakel in der Öffentlichkeit präsentieren. So hatte Koller neben mangelnder Kompaktheit und Laufbereitschaft in der Defensive allen Ernstes auch Pech als Mitgrund für die 2:3-Niederlage in Belgrad angeführt. Pech? Scheinbar hatte der Schweizer ausgeblendet, dass beiden Treffer seiner Mannschaft Abseitspositionen vorausgingen waren.

"Es gab einige Dinge, die wir nicht so gut gemacht haben, aber auch viele gute Dinge", beharrte der Chefcoach damals, der selbst sein Lob für die Mannschaft nach dem 2:2-Remis im Heimspiel gegen Wales nur etwas relativieren wollte: "Erwachsen wird man nicht an einem Tag, das dauert ja auch ein bisschen länger."

Mit Schönreden kommt das Nationalteam nicht weiter

Sportchef Ruttensteiner hatte in seiner Analyse der Schlappe in Serbien in einer Talkrunde auf "ServusTV" sogar noch verbal nachgelegt. "Die Mannschaft hat phasenweise gut gespielt. Vor allem offensiv haben wir einen Schritt nach vorne gemacht."

Der ÖFB baut sich weiterhin offensichtlich seine eigene Scheinwelt. Leipzig-Erfolgscoach Ralph Hasenhüttl hatte etwa Anfang Oktober die Koller-Personalpolitik in Bezug auf die mangelnde Flexibilität in der Offensive hinterfragt: Dass bei der schlecht verlaufenen Europameisterschaft aufgrund der mangelnden Fitness von Mittelstürmer Marc Janko kein "Plan B" vorhanden gewesen sei, sei ein Problem gewesen.

"Ich glaube, wenn eine Mannschaft von einem Spieler abhängig ist, ist es ein generelles Problem. Was passiert, wenn der eine oder andere ausfällt. Da habe ich das Gefühl gehabt, dass eine Lösung nicht da war", meinte Hasenhüttl. "Eine Mannschaft nur auf elf Spieler zu reduzieren ist ein grundsätzliches Problem", so der Steirer. "Es kann nicht sein, dass ich mein Wohl und Weh an einem Mann wie Marc Janko aufhängen muss."

Die Reaktion von Willi Ruttensteiner? "Ralph Hasenhüttl hat sich für seine Aussagen entschuldigt, er wollte den Teamchef keinesfalls kritisieren", so der ÖFB-Sportdirektor ohne mit einem einzigen Satz auf den Inhalt der Hasenhüttl-Aussagen einzugehen. Kritikfähigkeit sieht anders aus.
>> Hasenhüttl-Kritik am ÖFB-Teamchef

Wehleidigkeit beenden und sich selbst hinterfragen

Es gab in den vergangenen Wochen Zeit um die Niederlage in Belgrad zu verarbeiten. Doch so wie Marcel Koller am Mittwoch bei der Nominierung seines Kaders für das enorm wichtige WM-Qualifikationsspiel gegen Irland erneut auftrat, stellte nur eine Neuauflage des Verdrängens der eigenen Fehler dar.

Seine viel zu offensive Taktik gegen die Serben, die mit drei Gegentoren bestraft wurde und der Hauptgrund für die schmerzliche Niederlage war, hat sich der ÖFB-Teamchef immer noch nicht eingestanden. In seiner Analyse am Tag nach der Schlappe hatte der Schweizer viel mehr seine Spieler an den Pranger gestellt: "Zurück ist halt immer ein Scheiß-Weg. Ich kann nicht in sie reinprügeln, dass sie immer nach hinten gehen. Da geht es um Wahrnehmung und Bewusstsein."

Es geht um Wahrnehmung und Bewusstsein. Da hat Marcel Koller einen wichtigen Punkt angesprochen. Er hat Österreich mit einer tollen EM-Qualifikation als Führungsfigur an der Außenlinie zur Europameisterschaft geführt. Ungeschlagen. Mit der zweitbesten Bilanz aller Mannschaften. Vor ausverkauften Stadien und begeisterten Fans. Doch das ist inzwischen längst vorbei.

Seit der Vorbereitung auf die EM-Endrunde 2016 in Frankreich macht der Nationalmannschaft ein Negativtrend zu schaffen, der seither nicht mehr entscheidend gestoppt werden konnte. Die Enttäuschung bei der Europameisterschaft war nur die logische Konsequenz einer nicht rechtzeitig erkannten Fehlentwicklung, der nicht entgegen gewirkt wurde.

Nur wenn Teamchef und Sportdirektor damit beginnen, sich selbst zu hinterfragen, dann geht es auch beim ÖFB-Aushängeschild wieder bergauf. Die Fans stehen immer noch wie der zwölfte Mann hinter dem Team. Gegen die Iren bleibt im Prater trotz des November-Termins kein Platz frei. Diese Treue und Unterstützung hat ein Ende der Wehleidigkeit verdient!

Mehr dazu:
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>> ÖFB kann sich selbst nicht viel vorwerfen

Christian Tragschitz

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