07.04.2016 17:15 Uhr

Von "Sexmonstern" zu Meisterhelden

Die Leicester-Fans beim letzten Europacup-Auftritt in Wien-Hütteldorf
Die Leicester-Fans beim letzten Europacup-Auftritt in Wien-Hütteldorf

Leicester City steht kurz vor dem großen Triumph. Im Vorjahr fast abgestiegen und nun vor dem Sensationstitel in der englischen Premier League. Ein Verein, der sein letztes Europacup-Spiel in Wien-Hütteldorf absolvierte und dessen Spieler vor nicht allzu langer Zeit als Partydeppen sowie "Sexmonster" galten.

Sieben Punkte Vorsprung und nur mehr sechs Runden zu spielen. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn sich die "Foxes" noch die Meisterschaft nehmen lassen. Da kann ÖFB-Teamkapitän Christian Fuchs, der am Donnerstag seinen 30. Geburtstag feierte, noch so auf Understatement machen: In Leicester wird bald über den Titelgewinn gejubelt.

Das Auswärtsspiel am Sonntag (ab 14:30 Uhr im weltfussball-Liveticker) bei Abstiegskandidat Sunderland ist nur ein erneuter Zwischenschritt zum größten Triumph der Vereinsgeschichte.

Grund genug für weltfussball.at den Leicester City Football Club genau unter die Lupe zu nehmen. Einblicke abseits der grandiosen sportlichen Gegenwart. Pleiten, Pech und Pannen. Skandale. Ein Fahrstuhlverein ohne Derbygegner. Spieler, die keine Peinlichkeit ausließen. Welcome to Leicester!

"Nur gucken, nicht anfassen!" oder "Wir ham nur gschaut"

Die Vereinshistorie begann im Jahr 1884 als Leicester Fosse. Der Name ging zurück auf den Fosse Way. Eine Römerstraße, dank welcher Ratae Corieltauvorum (so die antike Bezeichnung von Leicester) ein wichtiger Punkt auf der Landkarte wurde. Zu Leicester City wurde man erst 1919 nach großen finanziellen Problemen.

Sechs Jahre später holte man in der zweithöchsten Spielklasse den ersten von bisher sieben Titeln. Zum Gewinn der Meisterschaft im Oberhaus reichte es hingegen - bis heuer - noch nie. Am knappsten dran war man in der Saison 1928/29, als man nur einen Punkt hinter Meister Sheffield Wednesday landete.
>> Die bisher beste Oberhaussaison von Leicester City

Auch im FA Cup klappte es noch mit keinem einzigen Siegerbild. Bei gleich vier Versuchen (1949, 1961, 1963 und 1969) verließ man Wembley jeweils als unterlegener Finalist. Nördlich der Weißwurst-Grenze würde man wohl "Nur gucken, nicht anfassen!" dazu sagen. In heimischen Gefilden könnte man es besser als "Wir ham nur gschaut!" betiteln.

Wie man als Zweitligist den Supercup gewinnt

Doch im Mutterland des Fußballs gibt es mit dem League Cup jedes Jahr noch eine weitere Titelchance. So kam auch Leicester City zu drei Trophäen auf der Visitenkarte. 1964, 1997 und zuletzt 2000 durfte man sich als Sieger des Ligacups feiern lassen.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass man es auch zum Gewinn der Charity Shield im Jahr 1971 brachte. Wie kann man bitte den Supercup gewinnen, wenn man bisher noch nie Meister oder Cupsieger war? Berechtige Frage. In Leicester schaffte man dies sogar als Zweitligist! Weil Doublesieger Arsenal im Sommer 1971 in der Saisonvorbereitung auf Tour ging wurden Cup-Finalist Liverpool und Zweitliga-Champion Leicester eingeladen.

Ein Geschenk, welches sich der Aufsteiger noch dazu dank des Heimvorteils vor 25.104 Fans an der Filbert Street mit einem 1:0-Sieg nicht nehmen ließ.
>> Die bisherigen Titel von Leicester City im Vereinsprofil

Von der Filbert Street in das "Chips Stadion"

An der Filbert Street war Leicester City von 1891 bis 2002 zu Hause. Dort wurde am 18. Februar 1928 beim Schlager im FA Cup gegen Tottenham mit 47.298 Fans ein Stadionrekord für die Ewigkeit aufgestellt. Einige Zuschauer saßen dabei sogar auf dem Dach der legendären Tribüne namens "Double Decker".

Die Heimstätte war im zweiten Weltkrieg durch Bomben ebenso beschädigt worden, wie später durch ein Feuer. Dafür machte man 1971 mit der zu dieser Zeit größten aufblasbaren Ballon-Konstruktion der Welt Schlagzeilen. Das gigantische "Air Dome" bedeckte das ganze Spielfeld und diente bis 1982 zum Schutz des Rasens vor Schnee, Eis und Regen.

Doch trotz dieser Innovation war die traditionelle Heimat längst in die Jahre gekommen. Schon 1990 hatte es Pläne für ein neues Stadion gegeben und am 11. Mai 2002 hieß es beim 2:1-Sieg gegen Tottenham Abschied nehmen von der Filbert Street. Aktuell fristet der "lost ground" ein äußerst trauriges Dasein.

Leicester City zog weiter in das damalige Walkers Stadium. Der örtliche Lebensmittelkonzern, der nicht nur auf der britischen Insel wegen seiner Chips bekannt ist, fungierte dabei als Namensgeber. Vereinslegende Gary Lineker (momentan durch sein Versprechen bei einem Meistertitel in Unterwäsche zu moderieren in Schwierigkeiten) eröffnete die neue Arena, die mittlerweile den Namen King Power Stadium trägt. Der neue Vereinsboss Vichai Srivaddhanaprabha aus Thailand machte es möglich.

16 Jahre nach dem Abschied in Hütteldorf wieder Europacup

Der Mäzen sorgte mit seinen Millionen-Investitionen auch dafür, dass Leicester City nach 16 Jahren Pause wieder im Europacup mitmischen wird. Das letzte internationale Spiel der "Foxes" war am 28. September 2000 in Wien-Hütteldorf. Mit einer 1:3-Niederlage gegen Crvena Zvezda verabschiedete man sich aus dem UEFA-Cup.

Roter Stern war damals auf der Suche nach einem Ausweichstadion, da nach den NATO-Angriffen auf Belgrad ein Heimspiel in der serbischen Metropole nicht möglich war. Weil Rapid am selben Tag zum Rückspiel in Göteborg bei Örgryte IS gastierte, wurde das Hanappi-Stadion frei. Der damalige grün-weiße Spielmacher Dejan Savićević ließ seine Beziehungen spielen und am Ende kam es wirklich zur äußerst emotionalen Europacup-Partie im 14. Wiener Gemeindebezirk.

Der politische Hintergrund führte dazu, dass sich die 12.371 Zuschauer mit Chorälen wie "bomb the bastards" und ausgebreiteten Armen als Flugzeug-Symbolik sowie "fuck you Leicester, fuck you" und brennenden Bengalen ein wenig sportliches Duell auf den Rängen lieferten. Auf dem grünen Rasen waren indes mit Milenko Ačimovič und Branko Bošković auch zwei spätere Österreich-Legionäre am ersehnten Aufstieg der Serben gegen die Engländer beteiligt.
>> Das bisher letzte Europacup-Spiel von Leicester City

"You couldn't score in La Manga!"

Die Rolle als plötzlicher Erzfeind war für Leicester City eine völlig ungewohnte Rolle. In Ermangelung eines echten Derbygegners wird eigentlich Nottingham Forest als größter Rivale betrachtet, doch beim Ex-Meistercupsieger ist man viel zu sehr mit dem Hass auf Derby County beschäftigt. Bleibt in der Region nur noch Coventry City, doch durch den tiefen Fall der "Sky Blues" muss das nächste "M69-Derby" wohl noch eine Zeit warten.

Finanzcrash, Abstiege und von den Gegnern zur Melodie von "Yellow Submarine" als Fahrstuhlmannschaft verhöhnt. Ein Schicksal, welches man auch in Leicester bestens kennt. Doch noch weit schlimmer geriet der Verein im Februar 2000 in die Schlagzeilen. Der Einzug ins Finale des League Cups war mit drei freien Tagen und einer Mannschaftsreise nach La Manga belohnt werden. Sie endete im Ausnahmezustand: Trockenlegen der Getränkevorräte, Urinieren in eine Pflanze bei der Rezeption und Anwendung des Feuerlöschers in der Hotel-Bar blieben als Erinnerung an eine denkwürdige Nacht.

Am nächsten Tag klingelte das Telefon von Manager Martin O'Neill, der seinen Spielern den Flug ermöglicht hatte und selbst daheim geblieben war. "Ihre Spieler tanzen auf den Tischen und sind ein öffentliches Ärgernis. Sie sind roh, ungehobelt und haben 40 Gäste mit dem Feuerlöscher abgespritzt", lautete die Nachricht eines erzürnten Hotel-Managers. Der Trainer ordnete daraufhin die sofortige Heimkehr seiner Partykönige an.

Zur allgemeinen Verwunderung durfte Leicester schon 2004 wieder nach La Manga. Es folgte ein Skandal mit schweren Anschuldigungen gegen die damaligen Spieler Keith Gillespie, Paul Dickov und Frank Sinclair. Drei Frauen warfen ihnen sexuelle Übergriffe vor. Zunächst wurde das Trio in Spanien verhaftet, später wurde die Anklage von den Behörden jedoch fallen gelassen. Übrig blieben die Choräle der gegnerischen Fans in den kommenden Spielen: "Score in La Manga, you couldn't score in La Manga!"

Vielleicht sollte die Meisterfeier von Leicester City heuer nicht ausgerechnet in La Manga stattfinden.

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Christian Tragschitz

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