13.10.2021 11:41 Uhr

Newcastle United: Neue Großmacht oder neue "Schande"?

Die Fans von Newcastle United feiern die neuen Eigentümer
Die Fans von Newcastle United feiern die neuen Eigentümer

Drei maue Punkte, kein einziger Sieg und Rang 19 in der Premier League: Die Zwischenbilanz von Newcastle United könnte kaum ernüchternder ausfallen. Doch am Nordufer der Tyne herrscht nun Euphorie. Reihenweise Superstars werden als Neuzugänge gehandelt, Worte wie Meisterschaft oder Champions League hallen durch die Straßen der Kohle-Hochburg. Apropos Kohle: Auslöser der Hochstimmung sind die umstrittenen Milliarden der saudischen Königsfamilie.

Seit vergangener Woche hält der saudische Staatsfonds PIF 80 Prozent der Klubanteile. 350 Millionen Euro soll sich der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, der dem Fonds vorsteht und maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen hat, sein neues Spielzeug kosten lassen. Angesichts eines geschätzten Gesamtvolumens von über 270 Milliarden Euro eine untergeordnete Investition.

Selbst wenn man beide Augen zudrückt und außer Acht lässt, dass reihenweise Vorwürfe der Menschenrechtsverletzung gegen die saudische Monarchie im Raum stehen, würde die Meldung der Übernahme in der deutschen Fußballlandschaft wohl eine Welle des Protestes auslösen. Der englische Fußball hat allerdings seit Jahren seine eigenen Gesetze.

Meister Manchester City erhält seine scheinbar unbegrenzten Finanzmittel aus dem ebenfalls nicht unumstrittenen arabischen Emirat Abu Dhabi, Champions-League-Sieger FC Chelsea hat das fußballerische Mittelmaß dank des Vermögens von Roman Abramovich hinter sich gelassen. Dass der Oligarch seine Milliarden in Teilen durchaus kontrovers erworben haben könnte, wird nicht nur leise gemunkelt. 

"Der Himmel ist die Grenze"

Nun ebenfalls mit milliardenschweren Siebenmeilen-Stiefeln ausgestattet, will Newcastle United den Angriff auf die genannten Platzhirsche starten. Ein Vorhaben, das im Klub eingehend beschriebene Euphorie hervorrief.

In den sozialen Medien sah man Fans der Toons, die sich nach Bekanntgabe der Übernahme frenetisch jubelnd in den Armen lagen. Satte 94 Prozent der Anhänger sollen die Übernahme befürworten.

"Die Fans haben in der Vergangenheit viel gelitten", die Reaktion sei ein Zeichen der  Erleichterung, bezog Newcastles Top-Star Jonjoe Shelvey gegenüber der "Daily Mail" Stellung.

"Ich weiß, was die Fans wollen - sie wollen Mbappé und Messi", so Shelvey weiter. "Das wird aber nicht über Nacht geschehen, da müssen wir realistisch sein", warnt der Mittelfeldakteur zugleich vor überstürzten Erwartungen. Mit den neuen Möglichkeiten könne Newcastle auf Sicht allerdings "alles erreichen. Der Himmel ist die Grenze", jubelte der 29-jährige englische Ex-Nationalspieler weiter. Eine kritische Einordnung des neuen Geldgebers seitens des Vize-Kapitäns sucht man hingegen vergeblich. 

Noch leichter macht es sich mit John Barnes ein Ex-Kicker der Magpies. "So lange die Regierung als moralischer Wächter des Landes sagt: 'Es ist okay Geschäfte mit Saudi Arabien zu tätigen', ist es okay." So funktioniere die Welt nun einmal. Wer Newcastle nun kritisiere, suche lediglich einen "Sündenbock", zitiert der "Mirror" Barnes.

Übernahme ein moralischer Tiefpunkt

"Es liegt nicht an uns, das politische Geschehen in diesem Land zu bewerten und wir werden dies auch nicht weiter kommentieren", spielt Newcastle-Fansprecher Lee Forster die neue Situation gegenüber dem "kicker" herunter. Für die Anhänger stehe vielmehr im Vordergrund, den verhassten Ex-Eigner Mike Ashley losgeworden zu sein. Dass die neuen Besitzer - ganz anders als Ashley - den Fans gebetsmühlenartig versprechen, ihre Wünsche bei Entscheidungen zu berücksichtigen, dürfte die Scheuklappen erklären. Taten müssen freilich noch folgen.

Deutliche Worte findet "The Sun"-Sportchef Dave Kidd. "Die Übernahme von Newcastle United durch den saudi-arabischen Staat dürfte für alle, die naiv genug sind, an die Existenz von Moral in der Premier League zu glauben, ein Allzeittief sein", urteilt der Journalist und ergänzt vielsagend: "Zumal die Taliban, Kim Jong-un und die somalischen Piraten nicht genug Geld haben, um einen englischen Spitzenklub zu kaufen."

Hatice Cengiz, die Witwe des ermordeten saudi-arabischen Regimekritikers Jamal Khashoggi, prangerte eine "Schande für den gesamten englischen Fußball" an.

Völlig unabhängig von jeglicher Moraldebatte gießen die nun in Masse vorhandenen Petrodollar Öl in die Feuer der Gerüchteküche.

Die von den Fans angeblich ersehnten Messi und Mbappé geistern zwar noch nicht durch die Presse, von Zurückhaltung kann aber bei Weitem nicht die Rede sein. Philippe Coutinho, Gareth Bale, Ousmane Dembélé, Federico Chiesa, Matthijs de Ligt, Mauro Icardi oder Erling Haaland sind nur die Spitze des Star-Eisberges, der in der vergangenen Woche plötzlich in der nördlichsten Großstadt Englands gehandelt wurde.

Dass Newcastle ganz so schnell in die obersten Regale greifen kann, darf bezweifelt werden, die Folgen der Corona-Krise könnten sich allerdings als Aufwind unter den Flügeln der Magpies [Elstern, d.Red.] erweisen, die einigen finanziell gebeutelten Klubs wohl ihr Tafelsilber stibitzen könnten.

Marc Affeldt

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