18.06.2015 10:00 Uhr

Vidals Autounfall löst Erdbeben aus

Arturo Vidal muss sich nach seinem Unfall vor Gericht verantworten
Arturo Vidal muss sich nach seinem Unfall vor Gericht verantworten

Chiles Bester rast mit seinem Ferrari betrunken durch die Nacht. Der Gastgeber der Copa América steht unter Schock.

Chile liegt auf der tektonischen Narbe zwischen der südamerikanischen und der Nazca-Platte und gilt nach Japan als eines der erdbebenreichsten Länder der Welt. "Sismos in Chile" ist eine beliebte Smartphone-App und informiert binnen weniger Minuten über Erdstöße, genaues Epizentrums und Stärkegrad.

Dienstagnacht gab es ein schweres Beben, das nicht über die App verbreitet wurde und dennoch vielen Chilenen Kopfschmerzen bereitet: Das Aushängeschild der Nationalelf Arturo Vidal ist inmitten der Copa América in einen Autounfall verwickelt.

Er ist unverletzt. Aber schnell sickert durch, dass bei ihm 1,21 Promille nachgewiesen wurden. Er verbringt die Nacht auf der Polizeiwache. Am Folgetag taucht ein Video auf, auf dem ein hörbar angetrunkener Vidal in der Dunkelheit am Straßenrand die Polizisten anraunt: "Nehmt mich ruhig fest, aber ihr bringt damit ganz Chile gegen euch."

Chile hat nun den Skandal, der das angespannte Verhältnis zwischen den Nationalspielern und ihren Fans auf die Probe stellen wird. Die Fakten sind beunruhigend: Der wichtigste Spieler der hochambitionierten Gastgeber düst mit seinem Ferrari an einem freien Nachmittag ins Kasino, betrinkt sich und verunglückt auf dem Rückweg ins Mannschaftshotel. Die medialen Wellen sind so groß, dass sich selbst Präsidentin Michelle Bachelet, im letzten Jahr sogar Gast auf Vidals Hochzeit, zu Wort meldet: "Ich bin glücklich darüber, dass ihm nichts Schlimmeres passiert ist".

Vidal und Co. bereits vorbelastet

Aber die Hintergründe machen diesen Skandal erst zu einem nationalen Beben. Chiles Nationalspieler fallen seit Jahren immer wieder durch Disziplinlosigkeit auf. Als Geburtsstunde dieser Generation gilt die U20-Weltmeisterschaft in Kanada 2007. Damals überzeugte die Mannschaft um Arturo Vidal und Alexis Sánchez mit tollem Fußball, wurde allerdings auch nach einer handfesten Auseinandersetzung mit der Polizei geschlossen in Gewahrsam genommen.

Danach kam es immer wieder zu übermäßigem Alkoholkonsum, Prügeleien oder Partys mit Prostituierten wo Chiles "La Roja" auftrat.

Trainer Jorge Sampaoli genießt eigentlich den Ruf, ein guter Pädagoge zu sein. Allerdings hat er zwecks sportlicher Geheimhaltungstaktik veranlasst, dass das Trainingszentrum der Nationalmannschaft Juán Pinto Durán während des Turniers zum Hochsicherheitstrakt wurde. Hinter Zäunen und abgesperrten Straßen wollte Sampaoli in Ruhe trainieren – und hat vielleicht seine Spieler zu stark isoliert. "Wir wollen die Spieler nicht einsperren, sie sind das aus Europa nicht gewohnt", erläutert Sampaoli die plötzliche Freizeit.

Lange Leine – kurze Leine?

Aber in Chile, wo Disziplin und Strenge in einer Gesellschaft mit starkem Militär- und Polizeiapparat eine große Rolle spielen, werfen viele Fans dem Argentinier fehlendes Fingerspitzengefühl vor. Wie kann er einer so vorbelasteten Gruppe einen halben Tag freigeben?

Ebenso wirft man Sampaoli vor, nicht konsequent zu sein. Für die Nationalspieler gilt seit geraumer Zeit ein strenger Verhaltenskodex. Sampaoli selbst warf einmal Charles Aránguiz aus dem Kader, nachdem dieser einen Treffpunkt verschlafen hatte. Aber den wichtigsten Spieler in diesem Wettbewerb aus dem Kader zu werfen, ist natürlich unmöglich. "Es ist einfacher jemanden auszuschließen, als ihn zu integrieren", sagt Sampaoli diplomatisch.

Spieler kritisieren das Verhalten der Fans

Bereits nach dem 3:3 gegen Mexiko wurde in den chilenischen Medien das Verhältnis der Mannschaft zu den Fans diskutiert. Kapitän Claudio Bravo zeigte sich enttäuscht von der Stille auf den Rängen, nachdem er während der Begegnung mehrfach wild gestikulierend mehr Unterstützung gefordert hatte. Gary Medel wiederum war nach dem Abpfiff in TV-Bildern zu hören, wie er seine Mitspieler beschimpfte, weil sie den Zuschauern den Abschiedsgruß verweigern wollten.

"Jetzt oder nie" ist das Motto der Chilenen bei dieser Copa América. Noch nie haben sie das Kontinentalturnier gewonnen, jetzt haben sie vielleicht die stärkste Mannschaft aller Zeiten. Vielleicht sind alle Probleme nur die Vorzeichen für ein Erdbeben der Freude - wenn das Turnier letztendlich doch gewonnen wird.

Mehr dazu:
>> Chiles goldene Generation der "Flegel"
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Für weltfussball berichtet aus Südamerika: Viktor Coco

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