17.02.2015 08:52 Uhr

Donetsk: Verein im Ausnahmezustand

Shaktar-Coach Mircea Lucescu bemängelt die schlechte Vorbereitung
Shaktar-Coach Mircea Lucescu bemängelt die schlechte Vorbereitung

Eine widrige Vorbereitung, die größte sportliche Krise seit Jahren und die Angst vor dem personellen Aderlass: bei Shakhtar Donetsk geht es in dieser Saison drunter und drüber. Ein mögliches Aus gegen den FC Bayern ist noch die kleinste Sorge.

Karl-Heinz Rummenigge erwartet "ein Spiel unter speziellen Voraussetzungen", Pep Guardiola spricht von einer komischen, Thomas Müller gar von einer "surrealen Situation" - wie auch immer man die Begleitumstände von Bayern Münchens Achtelfinalhinspiel gegen Shakhtar Donetsk (ab 20:45 Uhr im weltfussball-Liveticker) bezeichnen will, außergewöhnlich sind sie in jedem Fall.

Seit dem Kriegsbeginn muss der ukrainische Meister seine Heimspiele im 1000 Kilometer entfernten Lviv austragen. Fernab der Heimat, der gewohnten Umgebung und weit weg von den eigenen Fans. Nach nunmehr sieben Monaten hat man sich irgendwie mit diesem Ausnahmezustand arrangiert, daran gewöhnen werden sich Team und Verantwortliche aber nie. Die Auswirkungen auf die Mannschaft wiegen schwer und haben das Aushängeschild der Premyer Liga hart getroffen.

Sportliche Krise in der Meisterschaft

"Wir können uns bei den Menschen in Lviv nur bedanken und fühlen uns wohl hier. Vielleicht würden wir uns aber noch besser fühlen, wenn wir in der Donbass Arena vor unseren eigenen Fans spielen würden", lässt Trainer Mircea Lucescu durchblicken, dass der unfreiwillige Abschied aus Donetsk durchaus Einfluss auf ihn und seine Mannschaft hat.

Die sportliche Bilanz der letzten Monate bestätigt diesen Eindruck. Nach fünf Meisterschaften in Folge liegt das Team aktuell fünf Punkte hinter Tabellenführer Dinamo Kiev. Die Souveränität, mit der die Mannschaft durch die vergangenen Spielzeiten spazierte, ist verschwunden. Auch in der Champions League gelangen lediglich gegen die überforderten Weißrussen aus Borisov zwei Siege.

Neues Umfeld, neue Sorgen

Dabei steht die Mannschaft der "Bergarbeiter" nominell nicht viel schlechter als in den Jahren zuvor da. Noch immer bilden 13 spielstarke Brasilianer das Herzstück des Teams. Doch während die Sambakicker in der Vergangenheit nur selten Abwanderungsgedanken hegten, sorgten sie in den letzten Monaten immer wieder für Ärger und bekräftigten ihre Wechselabsichten.

Das war bisher eher untypisch für Shakhtar, das seine Spieler zwar immer mit viel Geld lockte, gleichzeitig aber ein funktionierendes Umfeld bot, in dem sich selbst die heimatverbundenen Brasilianer offensichtlich sehr wohl fühlten. Diese Zeiten sind seit dem Kriegsbeginn vorbei.

Vorbereitung unter widrigen Umständen

Es wirkt fast schon paradox, dass ausgerechnet jetzt das Spiel gegen den "Heile-Welt-Klub" FC Bayern ansteht. Es ist das Highlight einer "seltsamen und untypischen Saison", wie Lucescu die laufende Spielzeit treffend bezeichnet. Seit 2004 ist der Rumäne im Amt, seit mehr als 500 Spielen sitzt der 69-Jährige bei Donezk auf der Bank. Ein Jahr wie dieses hat er noch nicht erlebt. Die widrigen Begleitumstände auszublenden, fällt auch ihm schwer.

Die Vorbereitung auf das Achtelfinale gegen den Deutschen Rekordmeister lief trotzdem unter dem Motto "die Show muss weitergehen". Allerdings anders als sonst. Die körperlichen Grundlagen wurden nicht wie üblich in der Ukraine, sondern in Brasilien gelegt.

"Normalerweise waren wir vor der Abreise ins Trainingslager bei 60 bis 70% unserer Leistungsfähigkeit. Diesmal war alles etwas anders. Wir sind von Kiev ohne Vorbereitung nach Rio geflogen. Durch die Reise hatten wir Temperaturunterschiede von minus 20 auf plus 40 Grad zu überwinden", klagte Kapitän Darijo Srna im Interview auf der vereinseigenen Homepage. Die ungewöhnlich großen Strapazen zeigten Wirkung.

Trip nach Brasilien "ein schlechter Witz"

Von den fünf Testspielen in Südamerika gewann Shakhtar nur eins, baute vor allem am Ende bedenklich ab. Die Spiele seien ganz okay gewesen, sagt Lucescu, "aber die Distanzen zwischen den Spielorten waren zu groß." Nachdem auf der Reise nur selten Zeit für organisiertes Training war, nannte die Trainer-Legende den Trip gar "einen schlechten Witz."

Da half es auch wenig, dass man den zweiten Teil der Vorbereitung in den bekannten spanischen Gefilden absolvierte. Anschließend ging es zurück in die Ukraine. Nicht in das hochmoderne Trainingszentrum nach Donetsk, sondern nach Kiev, von wo aus der Klub seine Geschicke seit Monaten leitet. Denkbar schlechte Voraussetzungen für das Spiel des Jahres.

"Messi so viel wert wie fünf Bayern-Spieler"

Übermäßigen Respekt oder gar Angst vor dem kommenden Gegner aus Deutschland ist bei den Spielern dennoch nicht zu spüren. Srna zeigt sich in seiner elften Saison im Trikot der "Bergarbeiter" voller Zuversicht und leistet sich sogar eine kleine Spitze gegen die Bayern: "München ist der Favorit, aber sie sind noch lange nicht weiter. Ich respektiere die Bayern und ihren Trainer, aber wenn man sie mit dem Team von Barcelona unter Guardiola vergleicht, waren die Spanier viel stärker. Allein Messi ist so viel wert wie fünf Bayern-Spieler."

Auf einen echten Heimvorteil können die Spieler Shakhtars gegen die Münchener jedoch nicht setzen. Bis zu 50.000 Zuschauer verwandelten die Donbass Arena bei Abenden in der Königsklasse in ein Tollhaus. In Lviv kommen im Schnitt 20.000 Besucher weniger. Viele davon hegen keine Sympathien für den Serienmeister und jubeln mit den Gegnern. Dabei hätte das Aushängeschild des ukrainischen Fußballs die Unterstützung in diesen Tagen nötiger denn je.

Mehr dazu:
>> Guardiola warnt vor Donetsk
>> Müller vor Ukrainereise: "schrecklicher Krieg"
>> Bayern: Hilfe für ukrainische Kinder

Christian Schenzel

Online-Wettanbieter: bet365 | Interwetten | sportingbet | Tipico Sportwetten