24.12.2017 09:45 Uhr

Hackney Marshes: Wo Fußball noch Seele hat

Die Hackney Marshes gelten als Seele des englischen Fußballs
Die Hackney Marshes gelten als Seele des englischen Fußballs

Die Teams heißen "Wounded Knee", "Barking Tigers", "Soccer Painters" oder "Brazilian Boys", die Spieler sind beinahe noch Kinder oder zählen schon zum alten Eisen, kämpfen zum Teil mit ihrem Gewicht oder noch sichtbar mit den Nachwirkungen des Samstagabends, nicht wenige freuen sich bereits auf die Zigarettenpause. Auf den Hackney Marshes sind sie alle gleich.

Seitdem im Jahr 1946 auf dem Schutt der Bombardierung Londons eine Vielzahl von Fußballfeldern entstand, pilgern Sonntag für Sonntag Freizeitkicker aus dem Osten Londons zu den Hackney Marshes, um sich im Umgang mit dem runden Leder zu messen. Dem geneigten Beobachter offenbart sich dabei ein ebenso beeindruckendes wie kurioses Bild.

Teils keinen Meter voneinander getrennt, umfasste das Areal in den 1950er- und 1960er-Jahren 120 Spielfelder, 1990 waren es noch 106, nachdem Cricket- und Rugby-Felder Einzug erhielten und ein Teil der Fläche im Vorfeld der Olympischen Spiele 2012 einem Mega-Parkplatz zum Opfer fiel, existieren 2017 noch 88 Plätze - 60 davon Großfelder.

In Zeiten von 200-Millionen-Euro-Transfers und hochbezahlten Starkickern, denen der Social-Media-Auftritt so wichtig ist wie die Leistung auf dem Platz, gilt das ehemalige Marschland unbestritten als wahre Heimat und Seele des Fußballs.

"Hier werden die Wurzeln noch gepflegt"

"Die Leute schmälern heutzutage den Standard des Fußballs, aber hier werden die Wurzeln noch gepflegt und das ist großartig. Es ist großartig für die Gesundheit, für Freundschaften und die Gemeinschaft", bringt Johny Walker, seit einer halben Ewigkeit Leiter der Hackney und Leyton Football League, unter deren Banner ein Großteil der Spiele organisiert ist, die Besonderheit auf den Punkt.

Und auch Hackney-Bürgermeister Philip Glanville betont den Stellenwert der Marshes. "Die Hackney Marshes sind seit über 100 Jahren das Herzstück der Gegend und spielen eine wichtige Rolle für den hiesigen Breitensport", so Glanville. "Teams aus ganz East London spielen hier, darunter auch Frauenmannschaften. Die gesamte Vielfalt des Fußballs ist auf diesen Plätzen präsent."

Überraschungsgast Messi zieht unverrichteter Dinge ab

Dass es in der Vergangenheit auch zu Überschneidungen zwischen dem ursprünglichen und dem millionengeschwängerten Fußball kam, verdanken wir findigen Werbeexperten, die die Kulisse der Hackney Marshes für ihre Zwecke entdeckten. Den wohl denkwürdigsten Auftritt legte Lionel Messi im September 2010 hin.

Im Rahmen einer Werbeaktion des Sportartikelhersteller Adidas sollte der Argentinier beim Spiel der 10. Klassen der Hackney-Schulen Bridge Academy und Cardinal Pole Catholic School in den letzten zehn Minuten eingewechselt werden. Der Plan sollte geheim gehalten werden, doch kaum war Messi per Helikopter auf den Hackney Marshes gelandet, umzingelte eine Fan-Schar den Barca-Star. Aus Sicherheitsgründen wurde das Vorhaben kurz darauf abgebrochen.


Lionel Messi besucht die Hackney Marshes

"Es wäre eine einzigartige Erfahrung gewesen. Ich denke, ich hätte ihm ein paar Tricks zeigen können", kommentierte Bridge-Schüler Joseph Glasgow, der an der Seite Messis hätte spielen sollen.

Im Rahmen eines Nike-Werbespots gaben sich zudem Größen wie Éric Cantona, Robbie Fowler und Ian Wright die Ehre.

Sinnbild für die unglaubliche Fußballleidenschaft

Den letzten medial viel beachteten Auftritt hatte das Areal im Vorfeld der FIFA-Weltfußballerwahl 2017, als sich der stellvertretende FIFA-Generalsekretär Zvonimir Boban in Begleitung des zweimaligen englischen WM-Teilnehmers Ray Wilkins die Ehre gab. Im Rahmen der Förderung des Breitensports ließ die FIFA marode Torpfosten ersetzen und spendete Sportutensilien für den Spielbetrieb.

"Ich bin zum ersten Mal hier, deshalb hinterlässt das Ganze einen nachhaltigen Eindruck in meiner Fußballerseele. Die Hackney Marshes sind ein Sinnbild für die unglaubliche Fußballleidenschaft in England", so Boban. "Das Kind in mir kommt wieder zum Vorschein, das ist ein schönes Gefühl", schwärmte der Ex-Profi Boban.

"Vor 50 Jahren habe ich hier gespielt", erinnerte sich Wilkins. "Genau darum geht es beim Fußball. Es ist phänomenal, dass Zvonimir heute hier ist. Was hier passiert, ist wundervoll. Die aktuelle Ausrüstung ist veraltet und im Grunde das, was erneuert werden muss. Es geht darum, Menschen etwas mehr zu geben, als sie vorher hatten", ergänzte Wilkins.

Stimmt soweit. Das Wohl der Amateure, die sich allsonntäglich in bis zu 100 Partien auf den Hackney Marshes messen, hängt allerdings kaum vom Gönnertum des Fußball-Weltverbandes ab. Solange sich irgendwie und irgendwo zwei Stangen, eine Querlatte und ein Ball herzaubern lassen, wird im Osten Londons weiter eifrig gekickt.

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