26.05.2021 05:00 Uhr

Baumgartlinger fast euphorisch vor EM

Sein bisher letztes Länderspiel bestritt Baumgartlinger im November
Sein bisher letztes Länderspiel bestritt Baumgartlinger im November

Julian Baumgartlinger strotzt vor positiver Energie. Österreichs Teamkapitän hat den Wettlauf mit der Zeit gewonnen und rechtzeitig vor der EM sein Comeback gegeben. Ein vor vier Monaten eingesetztes Fibertape stabilisiert sein Kreuzband, er ist beschwerdefrei und zuversichtlich. Mit der APA sprach der 33-jährige Salzburger vor dem Vorbereitungsstart am Donnerstag über seine EM-Erwartungen, die Lehren aus 2016 und seine Zukunft im ÖFB-Team.

APA: Sie haben sich rechtzeitig für die EURO fitgemeldet. Was waren in den vergangenen vier Monaten Ihre bangsten Momente?

Baumgartlinger: "Es hat nur einen bangen Moment gegeben, nämlich als ich mich verletzt habe. Am nächsten Tag gab es schon einen Plan mit der OP. Das Ziel war genau das, was wir jetzt umgesetzt haben. Es ist perfekt verlaufen, es war mental aber sehr anstrengend. Die Belastung war auf der psychischen Seite fast genauso groß wie auf der körperlichen."

Bei wie viel Prozent Ihres Leistungsvermögens sehen Sie sich im Moment?

Ich bin bei 100 Prozent von dem, was ich machen kann. Das ist das Schönste. Ich habe im Training in Leverkusen nicht einen Moment zögern oder zurückziehen müssen. Es hat nicht eine Situation gegeben, in der man gemerkt hat, dass ich aus der Reha komme. Die Matches fehlen mir natürlich die letzten vier Monate. Das ist etwas, das schwer zu reproduzieren ist. Es sind aber noch zwei Vorbereitungsspiele vor der EM. Ich hoffe, dass ich da einen Anteil spielen kann.

Die Konkurrenz im zentralen Mittelfeld ist groß. Ein Kapitän, der nicht von Beginn an spielt, ist das für Sie vorstellbar?

Der Fußball kann solche Situationen erzeugen. In den Testspielen kann man sehr ehrlich und offen schauen, was möglich ist. Ich bin auch nur fitgeworden, weil ich immer ehrlich zu mir war, was geht und was nicht. So werden wir das auch mit dem Trainer angehen. Dass ein Kapitän einmal nicht bei 100 Prozent zu einer EM kommt, kann sein. Ich werde in den nächsten drei Wochen das Beste geben, dass es nicht dazu kommt, aber wir haben Topspieler auf der Position. Daher: alles kann, nichts muss.

Beim verpatzten Auftakt der WM-Qualifikation im März waren Sie nicht dabei. Wie bewerten Sie den Zustand der Mannschaft?

Natürlich ist das kein optimaler Verlauf gewesen. Aber das war die WM-Quali, jetzt ist die EM. Es sind jetzt im Vergleich zum März alle Spieler dabei und fit bis zu einem gewissen Grad. Ich hoffe, dass wir in drei Wochen alle spielfähig haben. Dann steht ein Nationalteam auf dem Platz, in welcher Aufstellung auch immer, das es mit allen in der Gruppe aufnehmen kann. Das ist das, was zählt.

2016 waren die Erwartungen vor dem Turnier beinahe überbordend, jetzt sind sie niedriger. Was sind Ihre eigenen?

Baumgartlinger: "Ich gehe mit einem übertriebenen Optimismus und einer Positivität in die Vorbereitung. Ich habe mein großes Ziel erreicht, dass ich diese Saison noch spielen und trainieren kann und jetzt zur EM fahre. Vom Bauchgefühl und von der Emotion her könnte es nicht besser sein. Für uns als Mannschaft bin ich auch optimistisch. Aus jedem Rückschlag, den wir in den letzten Jahren gehabt haben, haben wir etwas gelernt und sind besser herausgekommen. Wir haben wieder so viele Fixkräfte und Leistungsträger bei den Clubs wie lange nicht. Die Vorzeichen, dass wir eine gute EM spielen können, sind schon da. Wir müssen es aber auch auf den Platz bringen."

Was meinen Sie mit übertriebenem Optimismus?

Als ich in Leverkusen wieder zur Mannschaft gestoßen bin, waren alle schon ein bisschen müde. Ich bin mit Euphorie reingestartet, weil ich wieder das tun kann, was ich am liebsten mache. Hin und wieder kann es ein bisschen verwässern, dass man nicht mehr genau weiß, welches Privileg man eigentlich hat. Ich habe es eindrucksvoll am eigenen Körper gespürt, wie schön das nach einer so langen Zeit ist. Deswegen ist meine Energie gerade relativ hoch.

Was sind die Lehren, die man aus der EM 2016 ziehen kann?

Man kann nicht alles ausknipsen, was vorher war - auch den März nicht. Es ist wichtig, dass wir alle positiven und teilweise negativen Erlebnisse mitnehmen. Nur dann kannst du in so einem Turnier, das auch eine starke mentale Belastung ist, weil der Druck einfach höher ist, bestehen. Wir haben viel geredet. Wir werden nicht den Fehler machen zu sagen: 'Das wird schon, den Schalter legen wir um.' Wir wissen alle genau, dass das 2016 vielleicht ein bisschen zu sorglos war. Das wird uns definitiv nicht mehr passieren.

Sie haben das Mentale angesprochen. Was macht man, um dem Lagerkoller in der EURO-"Bubble" vorzubeugen? 2016 ist diesbezüglich auch nicht alles optimal gelaufen.

2016 haben wir zwar keine Corona-Pandemie gehabt, aber die allgemeine Sicherheitslage in Frankreich war sehr angespannt. Wir durften das Quartier quasi keine Sekunde verlassen. Das war auch eine 'Bubble', es hat aber trotzdem gut funktioniert. Heuer sind wir zuerst in Bad Tatzmannsdorf, dann in England, dann in Wien, dann in Seefeld. Zwei Wochen nach dem Treffpunkt ist schon das erste Gruppenspiel. Mir kommt das kurzweilig vor. Die Tapetenwechsel sind auch gut. Ich glaube, dass wir das hinkriegen werden - auch wenn man seine Familie trotzdem vermissen wird.

Welche besondere Aufgabe kommt in so einer Phase dem Kapitän einer Mannschaft zu?

Keine spezielle. Ich glaube, der Trainer hat sich schon viele Gedanken gemacht. Auch vom ÖFB gibt es Ideen, wie man trotz eventueller Quarantäne-Geschichten alles so gut wie möglich gestalten kann. Ich kann positive Energie reinbringen. Das ist etwas, das mir im Moment nicht schwerfällt. Wir haben ein Wir-Gefühl, alles andere ergibt sich durch Ergebnisse. Wenn die Testspiele gut laufen, kann man auch da in einen 'Flow' kommen.

Nach der vergangenen EM ist der Kapitän (Christian Fuchs) aus dem Nationalteam zurückgetreten. Wie lange wollen Sie dem Team erhalten bleiben?

"Da habe ich mich oft mit Marc Janko unterhalten, ich sehe das genauso wie er: Das Nationalteam sagt mir, wenn es mich nicht mehr braucht, nicht ich dem Nationalteam. Solange ich Fußball spiele, möchte ich für mein Land spielen. Wenn das der Nationaltrainer auch will, bin ich dankbar und glücklich und fahre hin - weil ich jeden Moment mitnehmen will. Irgendwann wird es nicht mehr gehen, aber ich möchte solange Fußball spielen, wie mich mein Körper auf dem Niveau eine gute Rolle spielen lässt."

apa

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