18.06.2024 09:19 Uhr

Die dunkle Geschichte des Olympiastadions

Berlins Olympiastadion mit fragwürdiger Geschichte
Berlins Olympiastadion mit fragwürdiger Geschichte

"Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin", skandierten österreichische Fans in den jüngsten EM-Testspielen. Das Olympiastadion in der deutschen Hauptstadt, Schauplatz der Gruppenspiele gegen Polen und die Niederlande, ist nicht nur ein Sehnsuchtsort für heimische Anhänger. Hier fanden das WM-Finale 2006 oder das Champions-League-Endspiel 2015 statt. Das DFB-Pokal-Finale wird regelmäßig in der größten Arena Deutschlands ausgetragen - die allerdings historisch vorbelastet ist.

Errichtet wurde das Stadion für die Olympischen Sommerspiele 1936, die Adolf Hitler als perfekte Propaganda-Bühne dienten. Leni Riefenstahl lieferte die Bilder, die Deutschland begeisterten und sogar viele internationale Korrespondenten positive Berichte über das Nazi-Regime verfassen ließen. Zwar läuft derzeit in Berlin eine Ausstellung unter dem Namen "Fußball im Nationalsozialismus", dennoch ist die Rolle des Olympiastadions in der Nazi-Zeit aus dem Bewusstsein vieler Fans verschwunden.

Für den Historiker Matthias Marschik ist das ein bedauernswerter Umstand. "Das Olympiastadion wurde nicht zuletzt durch zahlreiche Umbauten entpolitisiert, aber es ist ein historischer Ort, der eine gewisse Ausstrahlung hat und von bestimmten Kreisen in diese Richtung weiter interpretiert wird. Deutschland und Berlin versuchen natürlich, das Stadion aus der politischen Konnotation herauszuholen, doch das gelingt logischerweise nur zum Teil", sagte Marschik der APA.

Aufgrund der problematischen Vorgeschichte wäre ein Abriss des Olympiastadions durchaus überlegenswert gewesen, erklärte Marschik. "Doch aktuell plädiere ich dafür, deutlich darauf hinzuweisen, an welchem Ort so ein Ereignis wie die EM stattfindet. Durch ein Abreißen lösche ich gewisse Dinge aus, die aber nach wie vor da sind, und es beginnt eine Verklärung. Da ist es effektiver, durch Ausstellungen, Denkmäler oder Zusatztafeln auf den Kontext hinzuweisen."

Als Rapid 1941 Meister wurde

Ein verklärtes Ereignis im Olympiastadion ging am 22. Juni 1941 in Szene, genau an jenem Tag, an dem Hitler den Feldzug gegen die Sowjetunion startete. Rapid krönte sich vor über 80.000 Zuschauern nach 0:3-Rückstand mit einem 4:3 gegen Schalke zum deutschen Meister, Franz "Bimbo" Binder avancierte mit drei Toren zum Helden.

Dieses Spiel wurde des Öfteren als Symbol der österreichischen Auflehnung gegen Nazi-Deutschland interpretiert, was laut Marschik jedoch nicht wirklich zutreffend ist. "Dass der Wiener Fußball versucht hat, gegen die Verpreußung Stellung zu nehmen, ist offensichtlich. Ich würde das aber dezidiert nicht als Aufstand gegen das NS-Regime bezeichnen, sondern als Resistenz gegen diese Verpreußung."

Offen zur Schau gestellt wurde Österreichs Abneigung gegen Nazi-Deutschland im Vorfeld von Olympia 1936. Die Sport- und Turnfront hatte als Sport-Dachverband des "Ständestaates" noch einige Monate vor der Eröffnung einen Boykott der Berlin-Spiele angekündigt - aus Protest gegen eine Terrorwelle der illegalen Nazis in Österreich, die dem gescheiterten Nazi-Putsch folgte, dem unter anderem Bundeskanzler Engelbert Dollfuß zum Opfer gefallen war.

Der Meinungsumschwung folgte im Frühjahr 1936, Österreich stellte schließlich mit 176 Athleten das zahlenmäßig siebentgrößte Team. Die österreichischen Sportler marschierten bei der Eröffnungsfeier mit dem Hitlergruß ins Olympiastadion ein. Anschließend unternahm der damalige ÖOC-Chef Theodor Schmidt den Versuch einer Erklärung. "Er hat gesagt, er habe gemeinsam mit dem IOC einen olympischen Gruß erfunden, der dem Hitlergruß zum Verwechseln ähnlich war", sagte Marschik.

Nazis nutzten Olympia

Das Verhalten der Österreicher passte ins Bild - die Spiele 1936 entwickelten sich für die Nazis zum Propaganda-Triumph auf ganzer Linie. "Olympia war sicher ein Erfolg, weil es gelungen ist, die vielen Einsprüche vor allem von US-Seite zu kalmieren", erklärte Marschik. Etliche Länder, vor allem die USA, hatten ursprünglich einen Boykott in Erwägung gezogen, die US-Amerikaner stellten dann aber mit 310 Startern die meisten Teilnehmer nach Deutschland (348).

Im Medaillenspiegel landete Deutschland vor den USA auf Rang eins, Österreich wurde Elfter. In Berlin waren insgesamt 49 Nationen dabei, was damals einen neuen Teilnehmer-Rekord bedeutete. "Dass im Endeffekt so viele US-Sportler teilgenommen haben, war ein Erfolg, und dass eigentlich niemand außer dem republikanischen Spanien diese Spiele boykottiert hat, war der nächste Erfolg", resümierte Marschik.

Der Imagepflege dienten nach den Angaben des Historikers auch die vielen wohlwollenden Korrespondenten-Berichte. "Olympia 1936 wurde positiv in den internationalen Medien rezipiert." Die TV-Bilder von Regisseurin Riefenstahl verfehlten ebenfalls nicht ihre Wirkung. Marschik: "Es hat einen neuen Blick auf den Sport und seine Inszenierung gegeben, und es war eine unglaubliche Perfektionierung dessen, was wir heute schon gewohnt sind. Die Blicke, die Riefenstahl auf Politik und Sport geworfen hat, waren neu und anders, eine Inszenierung, die sicher viele Menschen begeistert hat."

apa

Online-Wettanbieter: bet365 | Interwetten | sportingbet | Tipico Sportwetten